Kopftuch: „Unweigerlich“ in Revision

Morgen soll die niedersächsische Landesregierung das Verbot muslimischer Symbole im Unterricht beschließen. Ex-Verfassungsrichter Gottfried Mahrenholz findet das diskriminierend. Eine Einzelfallprüfung der Lehrerinnen reiche aus

taz: Mehrere Bundesländer wollen generell Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht verbieten. Sie halten das für überflüssig. Warum?Gottfried Mahrenholz: Nach dem Grundgesetz ist die Entscheidung über den Zugang zum Lehreramt eine Einzelfallentscheidung. Sie gibt dem Staat das Recht, gründlich zu prüfen. Diese Lehramtsanwärterinnen sind ja durch das Referendariat schon mit einem Kopftuch gegangen. Danach kommt für sie eine dreijährige Probezeit, in der sie sich als Lehrerin bewähren müssen, andernfalls können sie entlassen werden. Sie können auch für einen Einsatz nur in der Hauptschule vorgesehen werden. Und schließlich kann man Lehrerinnen und Lehrer auch versetzen.

In Niedersachsen begründet Kultusminister Bernd Busemann (CDU) das anstehende Verbot muslimischer bei gleichzeitiger Duldung christlicher und jüdischer Symbole im Unterricht damit, dass sich unsere Gesellschaft auf dem Christentum aufbaut. Eine gute Begründung? Damit würde Niedersachen die Neutralitätspflicht verletzen, zu der der Staat in den öffentlichen Schulen verpflichtet ist. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts versteht Neutralität des Staates immer als eine offene, das heißt gegenüber Religion positiv eingestellte Neutralität. Das unterscheidet uns von der rigorosen Haltung Frankreichs gegenüber christlichen und anderen Symbolen und Kleidungen. Das Gericht hat aber jetzt hinzugefügt, dass man die Neutralität auch distanzierter verstehen kann. Dann aber muss dies gegenüber allen Religionen, auch der christlichen, gelten. Das Gericht sagt eindeutig, dass in solchen Fällen “Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden.“ Richtet sich das Gesetz nur gegen das Kopftuch oder ähnliche muslimische Symbole, wäre dies eine Diskriminierung, die unweigerlich zur nächsten Runde von Gerichtsverfahren führt.

Was bedeutet das Kopftuch überhaupt: Ist es ein Symbol für die Unterdrückung der Frau im Islam, ist es ein Accessoire oder ein Glaubensbekenntniss? Das ist nur subjektiv auf der Sicht der Muslima zu bestimmen. Wenn sie ihr Kopftuch im Unterricht tragen will, dann steht dies nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter dem Schutz, den das Grundgesetz der Glaubensfreiheit gewährt. Dieser Schutz kann eingeschränkt werden durch die Geltendmachung von gleichfalls geschützten Grundrechten, also etwa dem Elternrecht. Hier aber wäre zuerst der schonende Ausgleich zu suchen, wie das Gericht sagt. Das hieße im konkreten Fall, dass protestierende Eltern zunächst einmal mit Schulaufsicht und Lehrerin ein Gespräch zu führen hätten.

Wie sehen Sie die Rolle der Liberalen? Der FDP-Bildungssenator in Hamburg sagt, ein Kopftuch-Verbot sei unnötig, die FDP in Niedersachsen ist jedoch dafür. Eigentlich ist ein liberales Anliegen, in der Politik nicht ideologisch zu denken. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in diesem Sinne zum Kopftuch geäußert.

Sind die anstehenden Kopftuch-Verbote indirekte Folgen des 11. September? Das scheint mir nicht so. Es ist eher die typische Reaktion auf das Fremde. Die Sache ist auch jetzt durch den Prozeß von Frau Ludin unnötig gepuscht worden. In Nordrhein-Westfalen unterrichten 15 muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch – unbeanstandet.

Interview: Kai Schöneberg