Unglaublich: Vom Hocker aus die Säge beackert

Der Auftritt des Schlippenbach-Trios im Vegesacker Kito zeigte: Auch richtig freie Free-Jazzer haben einen Körper

Freie improvisierte Musik gilt ja immer als etwas, bei dem Außermusikalisches keine Rolle spielt – dabei ist auch bei der so intervertierten wie spontanen Arbeit am Klang der Anblick der Musiker ein wesentlicher Bestandteil des Genusses. So zu erleben vergangenen Freitag im Vegesacker Kito beim Auftritt des renommierten Schlippenbach-Trios: Da bewegt Sopran-Saxophonist Evan Parker schon mal minutenlang die Klappen seines Instruments zu Schlippenbachs Piano-Exkursionen, ohne auch nur einen Ton zu blasen. Schlippenbachs Finger fliegen derweil über die Tasten – oder gleiten suchend über sie.

Beiden die Show stiehlt der Schlagzeuger Paul Lovens. Nicht zuletzt seinetwegen pilgert man immer wieder zu den Auftritten des Trios. Wie er auf seinem kleinen Hocker kauert und unermüdlich sein schmales Drum-Set, diverse Becken und eine Säge beackert, wie er zwischendurch versehentlich einen Drum-Stick von sich schleudert, um in Sekundenschnelle einen Ersatz zum Einsatz kommen zu lassen – man kann es kaum glauben.

Dabei ist die Musik des Trios weniger asketisch als die verwandter Formationen. Man spürt die Wurzeln des Free Improv im Jazz und Schlippenbach flicht zunehmend häufiger Themen von Thelonious Monk in seine Improvisationen ein. Saxophonist Parkers Linien erinnerten an diesem Abend an die seines frühen Vorbilds John Coltrane. Reminiszenzen, die er in anderen Kontexten vermeidet. Und Paul Lovens klang an diesem Abend wie Elvin Jones auf Speed.

Die Rückbindung an die Jazz-Tradition tut dieser Musik durchaus gut, ist vielleicht sogar die Anerkennung der Tatsache, dass sie auch nur eine musikalische Form unter vielen ist und nicht mehr die revolutionäre Sonderstellung einnimmt wie noch vor 20 Jahren. Viel aufregender kann ein Live-Konzert aber trotzdem kaum sein.

Dieter Wiene