Der Prince von Prenzlberg

Haben Weiße eine Seele? Mit dem Soul-Sänger Georg Levin kann die Frage positiv beschieden werden. Der blonde, blauäugige Mann bezaubert derzeit New York und auch den Rest der Welt. Nur hier hat noch niemand so recht von ihm Notiz genommen

von JAN KEDVES

Der Mann kleidet sich unauffällig in dunklen Zwirn, doch wenn er den Mund aufmacht, verwandelt er sich für manche Leute in ein rotes Tuch: Georg Levin ist Soul-Sänger. Doch kein stämmiger Schwarzer, was noch halbwegs normal wäre, sondern ein dünnes Weißbrot mit strohblonden Haaren und blauen Augen. Geboren nicht in der Bronx, sondern in Hitzacker, einem Luftkurort irgendwo in den niedersächsischen Elbtalauen.

Wenn einer wie er croont, schmachtet und jault wie D’Angelo, setzt man gerne eine mitleidige Miene auf und tuschelt, da versuche wohl jemand, „einen auf schwarz zu machen“ – erfolglos, natürlich. Oder man sagt: „Gar nicht so schlecht. Für einen Deutschen“ – und hört danach lieber wieder Justin Timberlake.

In den USA geht man mit Leuten wie Levin freundlicher um. Dort gibt es eine Extraschublade namens „blue-eyed soul“, und dort wurde auch sein kürzlich auf dem Jazzanova-Label Sonar Kollektiv erschienenes Debütalbum „Can’t Hold Back“ weitaus euphorischer aufgenommen als hierzulande. Ein 53 Minuten langer Charmebolzen, der sympathisch antiquiert wirkt in einer Zeit, in der nervtötende Klingeltöne zu Charthits avancieren.

„Georg Levin is what happens when God decides to give a white man soul“, ereiferte sich eine der vielen positiven Besprechungen. Das geht runter wie Öl – wirft allerdings auch einige Fragen auf: Haben Weiße sonst keine Seele? Gibt es tatsächlich einen Gott? Und wenn ja: Sollte der nicht eigentlich farbenblind sein? Der Gesegnete – 30 Jahre alt und seit 1997 wohnhaft in Berlin – grübelt erst gar nicht lange, wer denn nun soulig singen darf und wer nicht, und wann was authentisch oder nur schablonenhaft klingt. „Ich bin einfach mit Soul-Musik aufgewachsen“, sagt er. „Auch wenn sie in Ghettos in New York entstanden ist, hab ich sie als Jugendlicher gehört, während ich im Auto mit irgendwelchen Leuten bekifft durch Rapsfelder gerast bin.“ Soul ist eben überall und kann, wie im Falle Levin, ganze Biografien umkrempeln.

Immer sei da eine Stimme gewesen, die ihm eingeflüstert habe, keine Kompromisse einzugehen. Ob er er nun mit zehn Jahren seinen ersten Song schrieb, später in London Kulturwissenschaften studierte und bei MTV arbeitete oder sich nach seinem Umzug nach Berlin als Produktionsassistent bei Videodrehs für Punk-Bands verdingte – unaufhörlich flüsterte diese Stimme: „Keine faulen Kompromisse!“

Bis er dann vor vier Jahren endlich den Filmjob gegen das eintauschte, was man romantisch als „künstlerische Freiheit“ bezeichnet, bis sich am Zionskirchplatz endgültig herausstellte, dass sich die Stimme, die so lange im Hinterstübchen gequengelt hatte, tatsächlich hören lassen kann.

Sanfte Rhodes-Akkorde und lockere Boogie-Grooves wurden fortan Levins treueste Begleiter. „Für mich ist Soul eben das, was am stärksten Glücksmomente und Gänsehaut erzeugt“, erklärt er. Meistens hat das natürlich etwas mit dem großen Mysterium namens Liebe zu tun. „Als Soul- Sänger macht man einen auf Romeo, man versetzt sich in eine Art übertriebenen Liebesrausch oder das, was manche Nordeuropäer übertrieben finden.“

In New York ist man von diesem Liebesrausch derzeit ganz benebelt. Dort laufen Levins Songs wie „(I Got) Somebody New“ und „In Your Car“ in den Clubs rauf und runter – vor allem seitdem die renommierten House-Maestros Masters at Work sie für den amerikanischen Markt lizensiert haben. Dort konnte man auch Zeuge eines denkwürdigen Auftritts des Berliners werden: Mitte Oktober spielte er in der seit über zehn Jahren den heiligen Gral der „Spiritual-Uptempo-Soul-Music“ hütenden Clublegende Shelter – wenn auch nicht als erster Weißer, dann zumindest als erster Deutscher. Als „Prince from Prenzlberg“ wurde er gefeiert, bullige Latino-Typen drückten ihn an ihre nass geschwitzte Brust („Das war schon komisch“), und junge Damen fragten entzückt: „So you’re the guy who wrote thaaaat song?“

Zurück in Prenzlauer Berg musste er sich dann allerdings erst einmal damit abfinden, dass sein Album hierzulande nicht gerade ein Verkaufsrenner ist – in England, Japan und den USA läuft es wesentlich besser – und dass sein ehemaliger Arbeitgeber MTV sein Video nicht spielen wollte. Begründung: „zu erwachsen“. Dafür will sich Levin demnächst bei Konzerten mit seiner sechsköpfigen Band vorstellig machen, und Gesangsbeiträge zu den demnächst erscheinenden Alben von Boris Dlugosch, Random Factor und dem neuen englischen Drum-’n’-Bass-Superstar Calibre sind bereits im Kasten. Im nächsten Jahr folgt ein weiteres Album, diesmal von Wahoo, dem Deep-House-Projekt, an dem er gemeinsam mit dem Berliner DJ Dixon arbeitet.

Mit Dixon hat er letztens auch – ziemlich untypisch, aber durchaus bezeichnend für die heutige Zeit – ein paar Klingeltöne produziert. Den Namen des Auftraggebers behält Levin lieber für sich. Ein Auftragsjob, der so abseitig gar nicht war: In Frankreich werden seine Songs ohnehin bereits als Klingeltöne angeboten – wenn auch komplett ohne sein Einverständnis. Wie in den paar Piepssekunden allerdings etwas so Ungreifbares wie Levins Soul transportiert werden soll, bleibt sein Geheimnis.

Georg Levin „Can’t hold back“ (Sonar Kollektiv)