Der Beat der Spieluhr

Die Compilation „Music For Children“ will House und Techno kompatibel für Kleinkinder machen und deren Eltern etwas Gutes tun. Doch ein Kleinkindertag im WMF zeigt: Die Kids mögen Free Jazz auf Rassel und Blockflöte lieber

In der beliebten Serie „Wo liegt eigentlich die Zukunft der Clubkultur?“ soll es heute um den Nachwuchs gehen: die Kinder. Denn gerade heute, da das baldige Ende von House und Techno immer wieder gern heraufbeschworen wird, ist es zur Selbsterhaltung des Genres doppelt wichtig, schon den Kleinsten die geheimen Freuden elektronischer Musik zu vermitteln.

Das Zürcher Label Bruchstuecke hat sich nun der ehrenvollen Aufgabe angenommen und eine Compilation namens „Music For Children“ in Auftrag gegeben, auf der erfahrene DJs und Produzenten wie Ricardo Villalobos, Luciano, Pink Elln*, Dandy Jack, Gudrun Gut und Chica Paula sich dieser Herausforderung stellen. Die eigentlich Idee kam dabei von Chica Paula selbst, die es offenbar leid war, mit ihrer Tochter stets diese „altmodischen Kinderproduktionen“ zu hören. Also spornte sie Freunde und Bekannte an, zur Abwechslung einmal moderne kindgerechte Musik zu produzieren.

Was aber ist kindgerechte Musik? Die Fachliteratur kennt dazu vor allem zwei unterschiedliche Schulen. Während die eine die These vertritt, dass Kindermusik einen gewissen Lerneffekt haben sollte, um ihnen auf spielerische Weise solch Dinge wie das Alphabet, die Verkehrsregeln oder Grundsätze der Mundhygiene nahe zu bringen, fußt die zweite auf der durchaus realistischen Einschätzung, dass Kinder nicht selten ruhelos zappelnde Quälgeister sind, weshalb es sich dringend empfiehlt, ihnen vor allem beruhigende und quasi sedierende Tonfolgen vorzuspielen.

Da die Pädagogik im House und Techno bislang noch nie eine besonders große Rolle spielte, sollte es im diesem Zusammenhang nicht wundern, dass die Macher der Compilation in erster Linie der zweiten Schule zuzurechnen sind. Console verpassten also Heinz Rühmanns beliebtem Schlaflied „La le lu (Nur der Mann im Mond hört zu)“ ein elektronisches Gerüst, Gudrun Gut, Luciano und Mo & El Puma komponierten jeweils um typische Spieluhrenmelodien herum, und auch Ricardo Villalobos, Luciano, Max Loderbauer hielten sich hinsichtlich Schwung und Energie deutlich zurück. Doch als die Compilation am Sonnabendnachmittag beim Nikolaustanz im WMF vor Zielgruppenpublikum präsentiert wurde, stellte sich heraus, dass Kinder gar nicht beruhigt werden wollen, sondern tatsächlich nichts so sehr lieben wie nervenzerfetzenden und atonalen Krach. Zwar blieb die Lautstärke auf einem Niveau, das das Trommelfell schonte. Doch all die anwesenden Zwei- bis Sechsjährigen ließen keine Gelegenheit aus, mit den herumliegenden Instrumenten, die zum Mitmachen animieren sollten, einen derart fröhlichen Lärm zu veranstalten, der so gar nicht in die gängigen Kindermusikkonzepte passte und eher an Free Jazz auf Rassel, Blockflöte und Melodica-Basis erinnerte.

In musikalischer Hinsicht belässt die sehr schön und liebevoll gemachte Compilation also die Kirche im Dorf und kleidet die gängigen Kindermusikformate lediglich in ein halbwegs moderneres Gewand. „Music For Children“ bietet demnach keine Musik für Kinder, sondern Musik für Eltern, denen die Klassiker des Kindermusikgenres aus modischen Erwägungen nicht passen. Folglich klingt sie wie eine relativ herkömmliche Lounge- und Listening-CD, die aus Gründen der konzeptuellen Erdung hier und da mit ein paar Kindergeräuschen angereichert wurde. Damit unterscheidet sie sich aber kaum von all den Alben, die wöchentlich bei Elektronik-Labels wie Morr oder Scape erscheinen und schon lange gestresste Eltern erfreuen, die nichts anderes wollen, als sich endlich einmal zu entspannen.

HARALD PETERS

Various Artists: „Music For Children“ (Bruchstuecke/Kompakt)