Putin wird zum Moralisten

Auf dem EU-Russland-Gipfel spricht Russlands Präsident der ukrainischen Opposition ihr Recht auf Widerstand ab. Polen bietet in Kiew Vermittlung an

BERLIN rtr/dpa/taz ■ Was der russische Präsident von den Menschen hält, die derzeit auf den Straßen von Kiew demonstrieren, daran ließ er gestern keinen Zweifel: Die ukrainische Opposition habe kein moralisches Recht, ein Wahlergebnis zu ändern, sagte Wladimir Putin am Ende des dreistündigen EU-Russland-Gipfels in Den Haag.

Doch auch EU-Ratspräsident Jan Peter Balkenende machte deutlich, dass Russland und die Europäische Union sich derzeit nicht auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Lösung des Streits um die Präsidentenwahlen einigen können: Beide hätten eine „unterschiedliche Herangehensweise“. Was konkret heißt: Während Putin gestern für eine gerichtliche Klärung des Streits eintrat, stellte die EU fest: „Wir können das ukrainische Wahlergebnis nicht akzeptieren.“

Putin kritisierte freilich nicht nur die Demonstranten, sondern auch die Einmischung von außen und damit die EU: Niemand habe das Recht, ein großes europäisches Land ins Chaos zu ziehen.

EU-Russland-Gipfel finden zweimal im Jahr statt. Außer um die Ukraine sollte es diesmal vor allem um den Abschluss der Verträge über die vier „gemeinsamen Räume“ gehen: Wirtschaft, innere und äußere Sicherheit sowie Kultur. Wegen des Engagements der EU in der Ukraine, Weißrussland, Moldowa und den Kaukasusrepubliken, das Moskau als Einmischung in seine Einflusssphäre betrachtet, ist aber gerade das Abkommen zur äußeren Sicherheit am weitesten von der Unterzeichnung entfernt. Die Verhandlungen über den Vertrag, die seit Mai 2003 laufen, sollen nun im kommenden Frühjahr abgeschlossen sein.

In Berlin legte auch Joschka Fischer in seiner Kritik an der ukrainischen Präsidentenwahl nach: Wenn sich bei einer „zweifelsfreien Überprüfung der Wahlergebnisse durch die OSZE erhebliche Verfälschungen und Beeinflussungen“ abzeichneten, könne man die Durchführung von Neuwahlen unter internationaler Aufsicht nicht ausschließen, sagte der Bundesaußenminister.

Während Fischer die russische Führung für ihre Haltung zur Ukraine nur indirekt kritisierte und forderte, dass „alle zu einer demokratischen Lösung beitragen müssten“, wurden Abgeordnete des Europaparlaments deutlicher. So sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Elmar Brok von der CDU, Putin trage „schwere Verantwortung“ für die entstandene Situation. Der frühere tschechische Außenminister Josef Zieleniec meinte, Russland habe politisch und finanziell in die Wahlen eingegriffen.

Als Vermittler in der Ukraine bietet sich inzwischen Polen an. Präsident Kwaśniewski schickte eine Delegation zu Sondierungsgesprächen nach Kiew und will womöglich auch selbst dorthin reisen. Darüber hatte Warschau noch am Mittwoch mit US-Außenminister Powell gesprochen. Der Friedensnobelpreisträger und frühere polnische Staatschef Lech Wałesa hält sich auf Einladung der Opposition bereits in der Ukraine auf. Als unmittelbarer Nachbar setzt sich Polen unter allen 25 Mitgliedstaaten am stärksten für eine EU-Beitritt der Ukraine ein. HER