Streik in Lemberg

Belegschaft der Schmuckfabrik protestiert gegen Wahlfälschungen

LWIW taz ■ Die Stimmung vor den Toren der Schmuckwarenfabrik in Lwiw (Lemberg) ist trotz klirrender Kälte gut. Im Blick der rund 600 Frauen und Männern liegt Entschlossenheit. In einigen Minuten wollen sie aufbrechen – zur Steuerbehörde, um dort gegen die Wahlfälschungen zu protestieren. Sie halten orangenfarbene Banner und ukrainische Nationalflaggen in den Händen, jeder trägt eine orangefarbene Schleife.

Unter lauten „Juschtschenko“-Rufen setzt sich die Kolonne in Bewegung, die Passanten stimmen begeistert ein. „Wir werden gewinnen! Wären wir davon nicht fest überzeugt, wären wir nicht dabei“, sagt Jewhenija Bilan, die Kapuze ihres Anoraks tief ins Gesicht gezogen. Es ist windig in diesem Stadtbezirk, die Fabrik liegt mitten in einer Plattenbausiedlung. Die Belegschaft der Schmuckwarenfabrik hatte vergangenen Montag auf einer Betriebsversammlung beschlossen, die streikenden Studenten zu unterstützen. Schnell wurden ein Transparent angefertigt: „Schmuckwarenfabrik für Juschtschenko“, und eine Delegation zum Freiheitsprospekt geschickt, der Hauptstraße von Lemberg. Am nächsten Tag trat die ganze Belegschaft in einen unbefristeten Streik. Heute sind die Fabrikhallen leer, gearbeitet wird nur ein paar Stunden am Vormittag. „Bei uns ist alles sehr gut organisiert, eine Anarchie werden wir nicht zulassen“, erzählt Mykola Synkoluk. Seit 31 Jahren arbeitet der Schmuckdesigner in der Fabrik. Von den einst 3.500 Arbeitern sind heute noch knapp 700 übrig geblieben. Doch nach den alten Zeiten sehnt sich kaum jemand in Lemberg zurück, auch auf die letzten Jahre unter Kutschma schimpfen die meisten. „Wir wollen frei sein“, sagt Jewhenija. „Wir werden nicht zulassen, dass Banditen in unserem Land herrschen.“

Die Kolonne zieht weiter. Die Menschen blockieren die Straße, doch die Autofahrer ärgern sich nicht, sondern hupen rhythmisch dreimal hintereinander. Jedes Auto ist mit einem orangefarbenen Band geschmückt, viele sind mit Bannern und Flaggen unterwegs.

Als die Kolonne vor dem Riesengebäude der Steuerbehörde eintrifft, ist der Lärm ohrenbetäubend. Die Behörde soll direkt an den Wahlmanipulationen beteiligt gewesen sein. Die Mitarbeiter wurden gezwungen, Wahlscheine zu beantragen und ihre Pässe abzugeben. So wollten die Vorgesetzten verhindern, dass sie für Juschtschenko votieren.

Mykola hebt die blau-gelbe Nationalflagge hoch. „Wir werde es schon selber richten, aber wir brauchen auch Unterstützung aus dem Ausland. Der Westen soll mit Putin sprechen, damit er sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischt!“ Seine nächsten Worte gehen in den Rufen „Juschtschenko ist unser Präsident!“ unter. JURI DURKOT