Der Unabschiebbare

Der Migrant Akubuo Chukwudi setzt sich seit Jahren für die Rechte von Flüchtlingen ein. Jetzt will ihn die Ausländerbehörde im mecklenburgischen Parchim abschieben – zum vierten Mal. Ein Leben zwischen Tür und Angel

Akubuo über eine seiner Wohnstätten: „Das schlimmste Lager, dass ich bisher gesehen hatte.“

Aus Schwerin Fritz Schorb

„Hallo Herr Neger“, beginnt ein Brief an Akubuo Chukwudi. Darunter steht: Afrikaner handelten mit Drogen, verführten deutsche Frauen, und der deutsche Staat gäbe ihnen dafür auch noch Sozialhilfe. „Ich bekomme ständig solche anonymen Briefe“, sagt Chukwudi, der sich selbst stets mit seinem Vornamen vorstellt.

Seit elf Jahren lebt Akubuo als Flüchtling in Deutschland, die meiste Zeit davon in einem Asylbewerberheim in Peeschen im Kreis Parchim, westliches Mecklenburg-Vorpommern. Bekannt ist er jedoch über die Landesgrenzen hinaus – durch sein politisches Engagement für die Rechte von Flüchtlingen. Dreimal saß er in den letzten elf Jahren in Abschiebehaft, jetzt geht es wieder los. Am Dienstag läuft Akubuos Aufenthaltsgenehmigung aus.

Über seine Vergangenheit erzählt er nur, dass er mit Textilien gehandelt hat, damals in Nigeria, wie vor ihm bereits sein Vater. Mehr will er nicht sagen, lieber spricht er über Politik. Über die politische Situation in Nigeria und die Motive für seine Flucht, 1993. Damals erlebte Nigeria zum ersten Mal in seiner Geschichte freie Präsidentschaftswahlen. Doch das demokratische Intermezzo ist von kurzer Dauer. Die Militärs putschen, noch bevor der gewählte Präsident vereidigt werden kann. Akubuo erzählt seine Geschichte so: „Wir haben uns für die Demokratie engagiert.“ Er und seine MitstreiterInnen demonstrieren in den Straßen von Lagos. Polizei und Militär schießen in die Menge. Akubuo wird verletzt, entgeht aber der Verhaftung. Ein Freund gibt ihm seinen Pass. Unter falschem Namen gelingt ihm die Flucht. In Deutschland beantragt er Asyl, er ist Ende 20.

In Deutschland beginnt ein Leben zwischen Asylbewerberheimen und Illegalität: Zunächst in einem Heim in Mecklenburg-Vorpommern, sein Asylantrag wird abgelehnt, Akubuo taucht ab, lebt bei einem Freund in Schleswig-Holstein, drei lange Jahre. Irgendwann eine Personenkontrolle, die Polizei inhaftiert ihn. Fünf Monate sitzt er in Abschiebehaft in Lübeck. Er weigert sich, Abschiebe-Papiere zu unterschreiben, man bringt ihn zurück ins Asylbewerberheim nach Mecklenburg-Vorpommern. Es folgen Jahre in Heimen, immer wieder unterbrochen durch Monate in der Abschiebehaft.

Peeschen, 1993: Versteckt im Wald stehen ein paar baufällige Baracken, ein Asylbewerberheim, hier lebte Akubuo lange Jahre. Die Häuser aus Holz und Wellblech bieten kaum Schutz vor Kälte – zu DDR-Zeiten war es ein Sommerferienlager für Kinder. Das Heim ist nicht an die Kanalisation angeschlossen, Abwasser sammelt sich in einem Tümpel. „Das war das schlimmste Lager, das ich bisher in Deutschland gesehen hatte“, erinnert sich Akubuo. Er spricht leise und konzentriert, wirkt müde, hat Ringe unter den Augen.

Akubuo zeigt Briefe, Schreiben an den Petitionsausschuss des Schweriner Parlaments, Schreiben an den Bundestag, das Europäische Parlament, an den UN-Kommissar für Flüchtlinge. Antworten gibt es keine. Er versucht es bei der Presse und hat Erfolg. Unter der Überschrift: „Unsere Nachbarn sind Hasen und Rehe“ berichtet die Lokalausgabe der Bild-Zeitung aus „Deutschlands schlimmsten Asylbewerberheim“. 2002 beschließt das Schweriner Parlament, Flüchtlinge künftig in Ortschaften unterzubringen. Das Heim in Peeschen wird erst im Frühjahr 2004 geschlossen.

Akubuo hat sich einen Namen gemacht. Nur, es nützt ihm nichts. Im November 2000 landet er zum dritten Mal in Abschiebehaft. Die Behörden scheinen fest entschlossen, den Aktivisten auszuweisen. Akubuo tritt in den Hungerstreik. Nach zwei Wochen ist sein Zustand so kritisch, dass an eine Abschiebung nicht mehr zu denken ist. Trotzdem bestätigt das zuständige Gericht zunächst die Inhaftierung. Nach 25 Tagen wird er in ein Krankenhaus gebracht. Von dort flüchtet sich Akubuo nach Schwerin ins Kirchenasyl. Der Unabschiebbare erhält prominente Unterstützung. Das komplette Team der Fernsehserie „Die Lindenstraße“ unterschreibt einen Solidaritätsbrief. Liz Baffoe, die Darstellerin von Mary und der Drehbuchautor Michael Meisheit übergeben das Protestschreiben persönlich an den Innenminister Gottfried Timm. Akubuo bekommt Abschiebeschutz, die Ausländerbehörde in Parchim erteilt monatsweise Duldungen.

Immer mehr Briefe, Flugblätter und Zeitungsartikel legt Akubuo auf den Tisch. Seine Unterlagen trägt er immer mit sich im Reisekoffer. „Man hat mir am helllichten Tag ein Bündel brennender Streichholzschachteln durchs offene Fenster geworfen. Seit dem nehme ich alles mit, wenn ich das Heim verlasse“, erklärt er. Fühlt er sich gehetzt, müde? Akubuo winkt ab. Alles unwichtig. Er hat eine Mission – zack, das nächste Papier. Die Kopie einer niederländischen Zeitung. Ein großes Foto von Akubuo mit Trillerpfeife im Mund und Pappschild in der Hand. So in Aktion sieht er sich am liebsten. Die Trillerpfeife trägt er immer mit sich am Schlüsselbund.

Eine seiner Kampagnen richtete sich gegen die Praxis in vielen Landkreisen, Sozialhilfe an Flüchtlinge nicht in Bargeld sondern in Form von Gutscheinen auszuzahlen. Die können nur in bestimmten Geschäften eingelöst werden. Im Landkreis Parchim waren es Aldi und Penny. Die Gutscheine haben Nennwerte, zum Beispiel 10, 20 oder 40 Euro. Die teilnehmenden Läden müssen nur zehn Prozent des Nennwertes als Wechselgeld herausgeben. Kauft ein Flüchtling Waren im Wert von 15 Euro und bezahlt mit einem 20 Euro Gutschein, erhält er lediglich zwei Euro Wechselgeld. Die verbleibenden drei Euro kassiert das Geschäft. Akubuo holte sich das vorenthaltene Wechselgeld in Naturalien wieder. Penny und Aldi erteilten ihm Hausverbot und zeigten ihn an. Die Verfahren sind mittlerweile alle eingestellt. 2003 wurde das Gutscheinsystem in Mecklenburg-Vorpommern abgeschafft.

Akubuo und die anderen Flüchtlinge aus Peeschen wohnen mittlerweile in einem ehemaligen Kindergarten am Stadtrand von Parchim. Akubuo hat dort ein Zimmer mit Kühlschrank – für sich allein. Wie lange noch? Wenn es nach den Plänen der Ausländerbehörde geht, bis zum 30. November. Am ersten Dezember tagt die Härtefallkommission des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Letztlich entscheidet Ingo Lohrenz, Chef der Ausländerbehörde in Parchim. „Ich äußere mich nicht zu laufenden Verfahren“, sagt er.

Akubuo entschuldigt sich, er muss gehen. Ein Treffen, erklärt er, man müsse planen, wie es weiter gehe. Und dann dreht er sich noch einmal um und sagt: „vielleicht sollte ich in die USA gehen“. Ganz weit weg von Parchim.

Infos zum aktuellen Stand und zu Aktionen gegen Akubuos Abschiebung unter www.thecaravan.org