Landwirt mit Ministererfahrung

Aigars Kalvitis wird neuer lettischer Regierungschef. Doch die Koalitionsbildung gestaltet sich schwierig

Lettlands neuer Ministerpräsident wird aller Voraussicht nach Aigars Kalvitis heißen. Am Mittwoch beauftragte Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga den 38-jährigen Fraktionsvorsitzenden der rechtsliberalen Volkspartei mit der Regierungsbildung. Diese war notwendig geworden, nachdem die bisherige Regierung unter dem Grünen Indulis Emsis vor knapp einem Monat mangels einer parlamentarischen Mehrheit für den Staatshaushalt gescheitert war. Der damalige Koalitionspartner, die Volkspartei von Kalvitis, wollte das von deren eigenem Finanzminister ausgearbeitete Budget bei der entscheidenden Abstimmung nicht mehr mittragen.

Verwunderlicherweise soll der gleiche Finanzminister – Oskars Spurdzins – auch dem neuen Kabinett Kalvitis angehören. Ein abgekartetes Spiel hatten politische Beobachter in Riga schon nach dem Emsis-Sturz vermutet, das vor allem dazu dienen sollte, dem Kippkoalitionär Volkspartei für die anstehenden Kommunalwahlen zu einer besseren Ausgangsposition zu verhelfen. Es geht eng zu auf dem rechten Flügel der politischen Szene. Und es gilt sich zu profilieren. Das hatte in letzter Zeit am besten der Emsis-Vorgänger Einars Repse verstanden und sofort „Hier!“ gerufen, als der Stuhl des Premiers frei wurde. Vike-Freiberga überging das Angebot.

Die dritte Regierung in diesem Jahr wird sich aber auf jeden Fall auf Repses „Neue Zeit“ stützen müssen. Daneben sind noch die rechtskonservative „Für Vaterland und Freiheit“ und die christdemokratische „Erste Partei“ im Gespräch. Auch Indulis Emsis selbst erklärte sich bereit, mit seinen „Grünen/Bauernverband“ unter einem Premier Kalvitis weiterzumachen.

Ebenso wie die „Volkspartei“ von Kalvitis in der bisherigen Regierung von Anfang an als unsicherer Kantonist galt, wird vermutlich auch seine eigene Koalition auf wackligen Füßen stehen. Neben Repse fühlt sich vor allem der Christdemokrat Ainars Slesers von der Präsidentin zu Unrecht übergangen. Statt persönlicher Profilierung wäre in Lettland dabei in erster Linie die Lösung dringender Probleme gefragt. Soziale Unruhe gibt es vor allem im chronisch unterbezahlten öffentlichen Sektor. Angesichts einer schneller galoppierenden Inflation geht die Rechnung mit dem bisherigen Niedrigsteuerkurs für Unternehmen und großem Bedarf im Sozialsektor immer weniger auf.

Zumindest was die stetig spürbarer der europäischen Konkurrenz ausgesetzte Landwirtschaft angeht, kennt sich Kalvitis aus. 1990 und 1991 arbeitete er auf schwedischen Bauernhöfen und war vor seiner ersten Wahl ins Parlament 1998 vier Jahre Vorsitzender der lettischen Milchbauernunion. Zwischendurch machte er einen Hochschulabschluss als Agrarwirtschaftler und war ab 1999 Landwirtschafts- und dann Wirtschaftsminister. Außerdem saß er in der Leitung der Agentur zur Privatisierung der Staatsunternehmen. Für den Bauernhof wird er jetzt noch weniger Zeit haben. REINHARD WOLFF