Göttinger Harakiri

Sieben Millionen Euro weniger sollen der Göttinger Universität im kommenden Jahr zur Verfügung stehen. In Südniedersachsen wird der Streik jetzt forciert. Auseinandersetzungen mit der Polizei – Uni stellt Strafantrag

aus Göttingen Holger Schleper

1837 begehrten sieben Professoren der traditionsreichen Georgia-Augusta-Universität Göttingen gegen den hannoverschen König Ernst-August auf. Die berühmt gewordenen Göttinger Sieben, zu denen auch die Gebrüder Grimm zählten, bezichtigten den Monarchen damals des Verfassungsbruchs. Zwei Jahrhunderte später sind Studenten und Lehrpersonal der Göttinger Hochschule wieder vereint in ihrem Zorn gegen den Landesherrn, der in der niedersächsische Hauptstadt thront, Christian Wulff (CDU). Grund ist das sogenannte Hochschuloptimierungskonzept (HOK) der Regierung, das rigorose Einsparungen an den Unis inNiedersachsens vorsieht. Die südniedersächsische Hochschule fühlt sich im vorgesehenen Einsparungskatalog unverhältnismäßig stark betroffen.

Zahlreiche Protestaktionen, vornehmlich auf dem Platz der Göttinger Sieben, der auch den Campus darstellt, zeugen davon, dass die Kürzungs-Beschlüsse auch in Göttingen nicht tatenlos hingenommen werden. Mit sieben Millionen Euro weniger soll dort ab dem kommenden Jahr gehaushaltet werden, eine Kürzung, die dem Wegfall von 155 Stellen entspräche. Rechnet man das Universitätsklinikum noch zur Kernuniversität hinzu, sind es sogar 12 Millionen Euro weniger.

„Es ist nicht ersichtlich, wie die Verteilung der Lasten zustande kommt“, hatte Uni-Präsident Horst Kern kurz nach Bekanntgabe der Beschlüsse mit Unverständnis reagiert. Laut Kern sei eine regionale Komponente erkennbar, die die Hochschulen im Nord-Westen des Landes verschone. Oberbürgermeister Jürgen Danielowski (CDU) pflichtete ihm bei: „Andere Einrichtungen sind im Landesmaßstab deutlich weniger betroffen.“ Bei über 10.000 Arbeitsplätzen, die in und durch die Universität bestehen, und ungefähr 24.000 Studenten fürchtet Danielowski um das Herzstück der 130.000-Einwohner-Stadt. Seit gestern nun sind die Proteste merklich verschärft worden. Eine landesweite Aktionswoche startete an allen Universitäten und Fachhochschulen. Höhepunkt ist am Mittwoch eine Demonstration vor dem Landtag in Hannover.

In Göttingen fielen gestern und heute unter dem Motto „Bildungs-Schluss-Verkauf“ die Lehrveranstaltungen aus. Das zentrale Hörsaalgebäude der Hochschule wurde blockiert, dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Blockierenden und anderen Studierenden, die am Streik nicht teilnehmen wollten. Die Polizei hat am späten Montagnachmittag mehrere von Studenten besetzte Häuser der Göttinger Universität geräumt. Rund 150 Studierende seien aus dem Gebäude der sozialwissenschaftlichen Fakultät gedrängt und getragen worden, sagte ein Polizeisprecher. Dabei sei es auch zu Rangeleien gekommen. Mit Eisenketten oder Müllcontainern hatten streikende Studenten die Zugänge zum zentralen Hörsaalgebäude und zu weiteren Räumen versperrt. Die Universität stellte wegen der Aktion Strafantrag wegen Hausfriedensbruch.

Selbst die Aktiven scheinen indes die Hoffnung auf eine Wende im Bildungsstreit beinahe aufgegeben zu haben: „Wir rechnen für Mittwoch nicht mit Zugeständnissen der Landesregierung“, sagt Andreas Lompe vom Asta der Universität Göttingen.

Heute wollen sich mehrere tausend Frauen und Männer auf einem Göttinger Sportplatz zu dem Schriftzug „Qualität und Vielfalt erhalten“ formieren. Sportstudenten wollen allerdings schon jetzt auf dem Göttinger Bahnhofsvorplatz symbolisch die letzten Studienplätze ausfechten.