Ohne Inspiration

Standing Ovations in Hamburg für John Neumeiers mäßige Choreographie zu „Tod in Venedig“

Die Erwartungen waren hoch gesteckt, die ersten Kritiken nicht die besten. John Neumeier hatte sich Thomas Manns Novelle Tod in Venedig für sein neues Ballett vorgenommen. Voraufführungen, die es Mitte November in Baden-Baden gegeben hatte, waren seitens der Kritik wenig wohlwollend aufgenommen worden. Das Hamburger Publikum allerdings bescherte dem seit 30 Jahren in Hamburg wirkenden Ballettchef und seinem Ensemble jetzt bei der Uraufführung in der Hamburgischen Staatsoper stehende Ovationen.

Frei nach Mann stellt Neumeier der Novelle ein komplexes Beziehungsgeflecht in choreografischen Bildern gegenüber. „Ein Totentanz“ hat der Choreograf das Stück untertitelt. Ein Danse Macabre, der immer wieder die schwermütige Last der Reise des Protagonisten Gustav von Aschenbach in den Tod zu durchbrechen sucht. Neumeiers Aschenbach ist entgegen der literarischen Vorlage nicht Schriftsteller, sondern Choreograf und arbeitet an einem Ballett über Friedrich den Großen. Im Ballettsaal agiert er in preußischer Tanzmeistermanier, schikaniert seine Assistentin, die Tänzer sind für ihn Material. Ein eitler Kotzbrocken gewissermaßen, seiner Kunst überdrüssig, der sich abwechselnd in Schöngeistigkeit und in Mutters Schoß flüchtet. Die mondäne Gesellschaft, auf die Aschenbach dann in Venedig trifft, scheint ihrer selbst nicht weniger überdrüssig.

Einen morbiden Anstrich gibt Neumeier den Tanzpaaren in ihren langsamen, gebrochenen Bewegungen. Aschenbach wirkt wie ein Zuschauer seiner eigenen Phantasiewelt. Traum und Realität mischen sich, die Illusionen, denen sich der Künstler in der Beobachtung des Jungen Tadzio hingibt, wachsen ins Surreale, bis er an der Cholera stirbt. Lloyd Riggins, ein sensibler Tänzer, aber mäßiger Darsteller, hat dabei Mühe, als Aschenbach zu überzeugen. Doch gravierender ist, dass Neumeier zu der Rolle des Tadzio wenig eingefallen ist. Neckische Jungensspiele in Badehose vermitteln kaum den Zauber der Jugend. Konstruiert und spannungslos läuft die zentrale Beziehung ins Leere.

Für Ausstattung und Kostüme zeichnet sich Hamburgs Design-Star Peter Schmidt verantwortlich. Auf stimmungsvolle Weichzeichnungen, wie sie die Bilder aus Viscontis bekanntem Film nahegelegt hätten, hat er verzichtet und stattdessen zu einem abstrakten Konzept gegriffen. Stilistisch ist das Ballett eine Augenweide. Mutiger hätte man sich die Choreografie gewünscht. Schließlich weiß man, welches Potential in Neumeier steckt, wenn er sich nicht in Konventionen und Klischees verfängt. MARGA WOLFF

nächste Vorstellungen: 11.,18.12., 19.30 Uhr, Hamburgische Staatsoper