Arno Schmidt & der Weg dorthin

Weltpremiere in Celle: Das Bomann-Museum zeigt Fotografien des Schriftstellers Arno Schmidt

aus Celle Tim Ackermann

Annäherung an 1 Künstler: Bei Arno Schmidt (in Zelle jenfallz) nur über Umwege möglich. Nach miss=trauischer Musterunk am Eingang des Muhsehjums (1 Tack zu früh? – Nicks!) zuerst durchs niedersäxsche Hüttlein, 4 mal 6 mit Eichengebälk. Im Augenwinkel lockt ein Heidschnucken-Dijorahma. Links: Die schöne hölzerne Klamm hinabgeklettert, dann treppauf: noch zwei. An der Wand hängn so 70 Fotos – – ? – !

Eine Weltpremiere in Celle: In Zusammenarbeit mit der Arno-Schmidt-Stiftung zeigt das Bomann-Museum Fotografien des Schriftstellers – in seinem hintersten Winkel. Der Platz sei sonst für Werke des Malers Eberhard Schlotter reserviert, erklärt der Kunsthistoriker Winfried Gründel. „Die Wahl der Räume ist keine Abwertung.“ Jedenfalls konkurrieren Schmidts Aufnahmen in Celle nicht nur mit einem lokalen Zwieback-Magnaten, sondern auch mit der „Ehrenhalle der Hannoverschen Armee“.

Arno Schmidt – geboren 1914 in Hamburg, gestorben 1979 in Celle – ist eine der eigenwilligsten Figuren der deutschen Literatur. Von seinen Fans wird er fast religiös verehrt. Viele wiederum kennen ihn gar nicht. Seine Prosa setzt sich über Rechtschreibregeln hinweg: Gesprochene Sätze werden in Mundart notiert, Wortspiele laden – in Anlehnung an Freuds Theorie des Unterbewussten – die Landschaft sexuell auf: Die exakte Darstellung des Wahrgenommenen verzichtet nicht auf seine symbolische Dimension.

Weitgehend unbemerkt war bisher geblieben, dass der Schriftsteller während seiner Spaziergänge immer wieder Gebrauch von seiner Spiegelreflexkamera machte. Zu Lebzeiten hielt er die Schnappschüsse vor der Öffentlichkeit geheim. Über 2.500 Dias archivierte er in Kartons. Zeitgleich mit der Ausstellung hat die Arno-Schmidt-Stiftung einen Fotoband herausgegeben: 135 Seiten, großformatig, schönes schwarzes Hardcover.

Später werden die ausgewählten Abzüge noch in Frankfurt und Hamburg gezeigt. Doch Celle als Premiere ist kein Zufall: Schmidt fühlte sich schon nach Kriegsende von der Lüneburger Heide angezogen. 1958 ließ er sich in Bargfeld nieder, einem 180-Seelen Flecken nordöstlich der Kreisstadt. „Mond, Nebel & Regen erste Qualität; auch im Trinkwasser war, selbst mit dem bösesten Willen, kein Jauchegeschmack spürbar“, notierte er kurz vor dem Umzug. Die Heide-Landschaft wird Schauplatz der Romane. So spaziert in „Kaff – auch Mare Crisium“ ein Pärchen aus Nordhorn durch die Heide: „ ,Mänsch iss dos lankweilich.‘(Dabei schtand sie neben einer Distel, so hoch wie 1 Frau.)“ Der Blick fällt auch auf die ansässige Bevölkerung: „Man lackiere 1 Gerät giftgrün & knallroth : dann wirz dem Deutschen Bauern heilich sein.“ Ein ambivalentes Verhältnis zum Landleben.

Das zeigen auch Schmidts Fotos: Abgestorbene Bäume, öde Stoppelfelder, traurige Tümpel und schlammige, „panzersichere“ Moore. In den Bildern aus Bargfeld erscheint die Südheide als eine ungezähmte, triste Welt, geliebt und karg: Mal wird eine Wiese als Konstrukt aus diagonalen Linien und farbigen Vierecken inszeniert. Mal lässt eine Nahaufnahme des Waldbodens Pilze wie Augen erscheinen. Den Raum, den der Misanthrop der Natur lässt, entzieht er dem Menschen: Wenn Personen in Erscheinung treten, wirken sie meist deplatziert.

Dass die Bilder jetzt im Bomann-Museum die Stelle von Eberhard Schlotters Gemälden einnehmen, erlaubt längere Gedankenspiele: Schmidt kannte Schlotter. Briefe belegen, wie sehr die Werke des 1921 in Hildesheim geborenen Malers den Schriftsteller beeindruckten. Sind Schmidts Naturaufnahmen von dem Maler-Freund beeinflusst? 1955, bei der ersten Begegnung, arbeitete Schlotter gerade an seinen „Leeren Bildern“. In diesen wird die menschenlose Landschaft aus großflächigen, geometrischen Formen zusammengesetzt. Die Ausstellung thematisiert jedoch weder eine mögliche Einflussnahme noch die Rolle der Kamera fürs literarische Werk des Bargfelders.

Das ist unbegreiflich, denn die wichtigsten Gedanken des Autors zur Fotografie werden im Nachwort des Bildbands angerissen: Schmidts Prosa basiert auf einer eigenen Theorie der Erinnerung. „Immer erscheinen zunächst, zeitrafferisch, einzelne sehr helle Bilder (meine Kurzbezeichnung: ‚Fotos‘)“, schreibt er in seinem poetologischen Essay „Berechnungen I“. Um diese herum würden sich „dann im weiteren Verlauf der ‚Erinnerung‘ ergänzend erläuternde Kleinbruchstücke (‚Texte‘) stellen.“ Ein solches Gemisch aus „Foto-Text-Einheiten“ sei das Ergebnis jedes bewussten Erinnerungsversuchs. Das literarische Nachzeichnen dieses Prozesses soll die Illusion eigener Erinnerung bei den Lesern erzeugen.

Sicher, der eingefleischte Fan kann die Wechselbeziehung zwischen Fotos und Werk immer mitdenken. Doch es gibt auch Menschen diesseits des Mare Crisium. Die Ausstellung verpasst die großartige Möglichkeit, mit einem Dialog aus Bildern und Texten einen neuen Zugang zu Arno Schmidt zu eröffnen. Dabei hätte sich der Autor kaum daran gestört. „Jegliche Theorie oder Hypothese, die das Werk weiter aufschließt“, schreibt er in seiner Karl-May-Studie „Sitara und der Weg dorthin“, sei bei einem toten Künstler „nicht nur erlaubt, sondern willkommen.“

So hatte das auch Janos Frecot gesehen: Der Kurator der Ausstellung und Herausgeber des Fotobands hätte schon im Titel des Buchs gerne ein Zitat verwendet. „Ursprünglich hatte ich auch vor, einige kurze Textstellen einzustreuen“, erzählt der Fotograf. Doch die Idee scheiterte am Widerstand der Schmidt-Stiftung. „Wir wollen nicht, dass die Fotos als Illustrationen des literarischen Werks wahrgenommen werden“, erklärt deren geschäftsführender Vorstand Bernd Rauschenbach vehement. Die Aufnahmen sollten als eigenständige Kunstwerke wirken.

Ein verstiegener Wunsch. Denn dass ein paar von Schmidts Bildern künstlerische Qualitäten besitzen, ist das Ergebnis aus Zufall und jahrelanger Übung. Ein Fotograf war der Mann aus Bargfeld jedoch nie.

„Arno Schmidt fotografiert“: Bomann-Museum, Celle. Bis 4. Januar„Arno Schmidt: Vier mal vier“, Suhrkamp, 135 Seiten, 49,90 Euro.