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Erst cool sein, dann predigen, dann lasziv sein, dann wieder Musik: Erykah Badu gab im nicht einmal halb vollen Tempodrom eine Freakshow voller Polit-Approach und Liebe und jeder Menge Zuversicht

VON GERRIT BARTELS

Nach einer halben Stunde ist es so weit. Zeit für die Botschaft. Zeit für die Predigt. Erykah Badu gibt ihre vornehm kühle Zurückhaltung auf und legt endlich los an diesem Sonntagabend im Tempodrom. Sie erklärt den Unterschied zwischen der Liebe und den Gefühlen, groß die eine, schwierig die anderen, weist mit dem Finger nach oben, wo unser aller Gott über uns wacht, erzählt was von Untergängen (Titanic etc.), skandiert „Follow the leader“ und überhaupt: Fuck you, fuck you, fuck you. Man weiß nicht so genau, wen sie damit meint, den Teufel?, was der Kern ihrer Predigt überhaupt ist, doch ihren Zweck erfüllt dieses Verbalinterlude aufs Beste: Ihr Publikum ist nun endgültig unten mit ihr, kann endlich loslassen und zu den gediegen-komplexen Jazz-Funk-Klängen von Badus achtköpfiger Band die Hüften schwingen.

Platz genug dafür ist, denn das Tempodrom ist nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Was verwundert, gilt doch die Grammy-Preisträgerin Erykah Badu genauso als Königin des Neo-Soul wie als legitime Nachfolgerin von Billie Holiday; hat sie doch von ihrem 97er-Debütalbum „Baduizm“ weltweit über acht Millionen Stück verkauft (das bestverkaufteste Soul-Debüt aller Zeiten), und wollten sie noch auf ihren Konzerten vor zwei Jahren in Hamburg und vor einem Jahr auf der Museumsinsel zwischen 4.000 und 6.000 Menschen sehen. „Are you afraid of change? Well, change make dollars“ steht es in kritzeliger Schrift aufmunternd, zynisch und durchblickermäßig auf dem Cover von Badus neuem und inzwischen dritten Album „World Wide Underground“, aber bei Eintrittspreisen von fast fünfzig Euro scheint die Furcht vor Veränderung so mancher treuer und weniger treuer Fans begründet zu sein. Zumal Badu sich Zeit lässt mit ihren Alben und sie aktuell auch keinen Hit in der Dauerrotation von MTV hat.

Kannte man sie einst als Vertreterin einer neuen Natürlichkeit, als Lagerfeuerromantikerin und als merkwürdige Hohepriesterin einer diffusen afrikanischen Spiritualität (mit Kerzen, Weihrauch und einem riesigen Turban), so posiert sie jetzt auf ihrem neuen Album mit einer überdimensionierten Afro-Frisur, file under Angela Davis, Black Panther und dem politisch bewegtem Soul der Sechziger- und Siebzigerjahre, und verkündet: „Freakquency is born and neo-soul is dead“.

Keine Frage, dass Badu auch an diesem Abend die Afro-Perücke die volle Dauer des fast drei Stunden dauernden Konzerts trägt, selbst wenn es den Anschein hat, als könnte sie irgendwann unter seiner Last zusammenbrechen. Aber was muss, das muss, Polit-Approach, Freakshow, Liebe, Fusion, alles eins, und Erleichterung verschafft sie sich, in dem sie sich nach und nach ihrer schmucklosen Gewänder entledigt und am Ende in einem strahlend grünen Kleid dasteht.

Keine Frage also auch, dass Badu das Geschehen auf der Bühne dominiert, dass sie Rhythmus und Richtungen vorgibt, die Einsätze ihrer Musiker und ihrer beiden Backgroundsängerinnen. Immer wieder der gespannte Bass, immer wieder Jazz und Funk, „Funk is collective!“, immer wieder eine nervige Querflöte, immer wieder Liebe, immer wieder Zuversicht: „I Want You!“.

Es wirkt alles enorm clever, was Erykah Badu hier macht, durchdacht bis zur letzten Minute: Erst cool sein, dann predigen, dann lasziv sein, dann wieder Musik, dann auch noch Michael Jackson in Schutz nehmen und schließlich den HipHop-Wurzeln huldigen, „der Liebe meines Lebens“, seien es nun die Sugarhill Gang oder Boogie Down Productions, seien es Pharcyde oder Snoop Doggy Dogg. So fügt sich eins zum anderen, so wirkt alles genauso zerrissen wie harmonisch, und so muss man vielleicht nicht jede Botschaft Badus verstehen: Hauptsache der Neo-Soul ist tot, Hauptsache die richtig feine Mucke regiert.