POPELIG UND ELITÄR ZUGLEICH
: ELMAR ALTVATER über unter Sparzwang ächzende Universitäten, Studenten im Streik und einen neuen Edelcampus

Der Gegensatz von öffentlicher Armut und privatem Reichtum war am 1. Dezember rund um den Berliner Schlossplatz live zu beobachten: Unter den Linden die Demonstration streikender Studenten gegen die Kürzungen des Senats bei den öffentlichen Hochschulen; im ehrwürdigen Staatsratsgebäude mit der edlen Adresse „Schlossplatz 1“ die feierliche Eröffnung der privaten „Hertie School of Governance“.

Während die Berliner Universitäten bis zum Jahr 2009 75 Millionen Euro weniger ausgeben können, ist die Hertie School von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung und großen Unternehmen mit 25,6 Millionen ausgestattet worden. Allein die FU wird in den nächsten Jahren 82 Professorenstellen streichen müssen, nachdem schon in den 90er-Jahren von einst 730 Professorenstellen 306 abgebaut worden sind. Der Studiengang Soziologie wird wohl gänzlich zugemacht werden müssen. Denn von neun Professoren sollen nur noch vier bleiben, und davon drei an den regionalwissenschaftlichen Zentralinstituten der FU.

Dafür hat die private Hertie-School 15 neue Professuren in der Planung, die bis 2005 eingestellt werden sollen. Acht zusätzliche adjunct professors sind vorgesehen, die wohl zum Teil aus den Berliner Universitäten filetiert werden. Während sich an den öffentlichen Universitäten Studenten vom Souterrain bis zum Dachboden in überfüllte Räume quetschen müssen, entsteht im Zentrum Berlins ein großzügiger privater Edelcampus mit bis zu 200 Studenten. Pro Professor also knapp 15 Studenten. Das sind idyllische Zustände in der Welt des privaten Reichtums, verglichen mit den manchmal 100 Studenten, die ein Professor in der Sphäre öffentlicher Armut zu betreuen hat.

Die Versorgung mit dem öffentlichen Gut der Bildung, auf das jede(r) als Staatsbürger(in) einen Anspruch hat, wird also immer popeliger, so dass die Anbieter des privaten Gutes Bildung überhaupt eine Chance haben. Denn die Studierenden der „Hertie-School“ müssen um die 10.000 Euro im Studienjahr berappen, bis zum Master nach einem zweijährigen Studienzyklus also 20.000 Euro.

Es ist wie in der Krankenversicherung. Man muss die Leistungen für Kassenpatienten so sehr verschlechtern, dass sie den Wechsel in eine private Krankenversicherung als Erleichterung empfinden, obwohl sie mehr zahlen müssen.

Diese Infamie wird vom rot-roten Senat mit dem Argument gerechtfertigt, es gebe keine Alternative zur Sparpolitik an den Berliner Hochschulen. So ganz kann das nicht überzeugen, werden doch gleichzeitig die Hertie School of Governance und die ebenfalls demnächst am Schlossplatz 1 residierende European School of Management and Technology mit Gebäude und Grundstücken ausgestattet. Das öffentliche Bildungswesen kann verrotten, man zieht sich ja privaten Ersatz heran.

Wenn die Koordinaten der Politik so eingestellt sind, können die Repräsentanten der privaten Hertie School of Governance bei der Eröffnung vor Selbstbewusstsein strotzen. Löblich der Anspruch des Vorsitzenden des Stiftungsvorstands, in der globalen Liga spielen zu wollen, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass die deutschen Universitäten einst Weltspitze waren – im 19. Jahrhundert.

Wie kann es gelingen, mit Harvard und Princeton, Berkeley und Yale, mit Sciencepo in Paris und LSE in London zu kooperieren und erfolgreich zu konkurrieren? Durch akademische Exzellenz und sich daraus ergebende Reputation, lautet die Antwort. Doch der akademische Direktor Michael Zürn, der der Festgemeinde Konzept und Curriculum erläuterte, kocht auch nur mit Wasser bzw. mit Powerpoint-Grafiken –, und die brachten ungefähr das, was ein Student oder eine Studentin der Politikwissenschaft in den Grundsemestern zu lernen hat. Ob so Studenten an die Hertie-School zu locken sind, wenn doch an der FU Berlin mindestens so gut Fragen der Governance studiert werden können, ohne derzeit dafür Studiengebühren löhnen zu müssen?

Der Berliner Senat wird den privaten Anbietern also noch gehörig durch weitere Sparauflagen bei den Universitäten nachhelfen oder auch an den öffentlichen Universitäten Gebühren einführen müssen. Der Regierende Wowereit ist da schon jetzt Feuer und Flamme. Solche Überlegungen irritierten die Festredner nicht. Exzellenz und Reputation sind da, um die Bildung einer Elite zu fördern. Der Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung, Kurt Biedenkopf, äußerte sich ganz erleichtert, unbefangen von „Elite“ reden zu dürfen.

Ja, es wird viel getan, um Studierende und Absolventen der School of Governance in den höheren Etagen von politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen zu platzieren. „Placement“ war folglich eine mehrfach gebrauchte Vokabel, die eine Schlussfolgerung ermöglichte: Reputation plus Exzellenz plus Placement sind Pfeiler zwischen denen ein tragfähiges Netzwerk geknüpft ist. Absolventen der School treffen während des Studiums auf Praktiker, die vielleicht auch an der School studiert haben, und werden so auf den oberen Ebenen der Hierarchie platziert.

Heute wird das „Networking“ genannt, und dies hat einen guten Klang. Früher freilich hatte das Beziehungsgeflecht den inzwischen etwas anrüchigen Namen des „Verbindungswesens“ und -unwesens. Alte Herren verschaffen den jungen Füchsen Führungsstellen, die ihnen als Brüder einer Verbindung, einer sich selbst definierenden und rekrutierenden Herrschaftselite zusteht. Die gemeinsame Identität ist dabei wichtig: Die Farben der Verbindung, die Uniform, der Schmiss in der Visage etc. In post-modernen Zeiten reicht heute der Verweis auf Corporate Identity. Daran wird die Hertie-School arbeiten müssen.

Ein wenig sollte dazu wohl auch das Buffet beitragen, das nach den Festreden gereicht wurde. Vom KaDeWe, dem ehemaligen Flaggschiff der Warenhauskette Hertie, bevor diese an Karstadt verkauft worden ist. Zum Troste aller Neider war es so üppig nicht, und auch der Wein war nicht vom Allerfeinsten. Etwas sozialdemokratisches Mittelmaß blieb also trotz Elitendiskurs erhalten. Vielleicht aber auch nur, weil bei der Eröffnung zu viele popelige (von populus) Gäste von den Berliner Universitäten anwesend waren und daher die selbst definierte Elite nicht wirklich unter sich war.

Die streikenden, demonstrierenden und Vorlesungen und Seminare an öffentlichen Plätzen besuchenden Studierenden wussten offenbar von der feierlichen Eröffnung am Schlossplatz 1 nichts, sonst hätten sie möglicherweise liebend gern in der Tragikomödie von öffentlicher Armut und privatem Reichtum mitgespielt und zumindest das Buffet gestürmt. Besser als das, was die Mensa zu bieten hat, war es allemal.

Der Autor ist Professor für Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität