JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA
: Willst du lieber nach Mallorca?

Der beste Freund war in Russland. Um die Sprache zu lernen. Und um mit dem Iwan anbändeln zu können

Der beste Freund vergräbt die Fäuste in den Hosentaschen und kickt trotzig gegen einen Dreckklumpen. Ich hab’s versucht, ich hab’s ja versucht, seufzt er. Aber diese Sprache ist einfach something completely different.

Was erwartest du, nach nur vier Wochen?, frage ich besserwisserisch. Russisch ist eben nicht idiotensicheres Englisch. Oder blödes Französisch. Da kann man nicht so schnell jeden Mist radebrechen.

Der beste Freund war einen Monat lang in Russland, um die Sprache zu lernen. Er wohnte in einer kleinen Mönchszelle von Studentenzimmer, in der es roch wie bei Oma, denn das Holz des Schranks stammte von sibirischen Eichen aus der Zarenzeit.

Wenn er seine mitgebrachten Country-CDs auf dem Laptop abspielte, rollte sich vor Schreck die vergilbte Tapete von der Wand. Jeden Morgen stand er im Dunkeln auf, was nichts bedeutet, denn der November ist ein durchweg dunkler Monat in Russland, und taperte zu seiner gestrengen Einzelunterrichtslehrerin. Jeden Nachmittag setzte er sich an seinen muffigen Schreibtisch und paukte Vokabeln. Und jeden Abend schlich er in der Metropole die Stellen ab, die sein schwuler Städteführer als Treffpunkte aufgelistet hatte, in der Hoffnung, ein bisschen mit einem homosexuellen Iwan anbändeln zu können.

Nicht so einfach, wenn man in dieser Sprache Neuling ist. Und die Sauna, frage ich, es gibt doch Schwulensaunas … Ja, sagt er, glücklicherweise. Aber der Russe will halt immer erst reden. Und über was soll ich denn mit so einem breitschultrigen Tataren sprechen, bei meiner begrenzten Themenauswahl. Über die drei kleinen Schweinchen Nif-Nif, Nuf-Nuf und Naf-Naf? Das eigentliche Problem des besten Freundes waren nämlich die Bücher, nach denen ihm die Lehrerin die schwierige Sprache näher bringen wollte: Märchenbücher. Beziehungsweise: Russischsprachbücher aus den 50ern, die vorsichtig jedes aktuelle Thema vermeiden und statt kleiner Alltagsgeschichten in die Märchenwelt ausweichen. Ich konnte mich doch nicht, mault der beste Freund, neben so einen Kanten von Mann im Handtuch quetschen und sagen: Bin ganz allein, bin ganz allein, ich lass dich gern in mein Strohhaus hinein. Nein, sage ich, aber vielleicht etwas wie: Hallo, du großer böser Wolf, willst du nicht ein bisschen pusten?

Haha, macht der beste Freund.

Oder, schlage ich, jetzt ganz angefixt, vor: Väterchen, komm, setz dich ans Feuer! Oder, bei gegebenem Anlass, Bäumchen rüttel dich, Bäumchen schüttel dich.

Haha, macht der beste Freund wieder. Das hat dir der Teufel gesagt. Er kickt wieder nach dem Dreckklumpen. Ich versuche, ihn aufzumuntern. Willst du lieber nach Mallorca, in die Schnitzelgasse, in der einen keiner versteht, wenn man Spanisch redet? Oder in die USA, wo man sogar verstanden wird, wenn man das schlimmste Nazi-Englisch der Welt spricht? What watch? Oh, such much? Du wolltest doch eine Herausforderung.

Jaaaa, sagt der beste Freund. Das war’s ja auch. Allein schon das orwellmäßige U-Bahn-Netz mit den Schildern auf Kyrillisch, die man schließlich durchgängig mit fünf Promille entziffern muss … Und dieses Angeschrienwerden bei jeder Gelegenheit. Das hat schon eine eigene Schönheit.

Ich sage dir, sage ich, je weniger man von einer Sprache versteht, desto sympathischer sind einem die Menschen. Guck dir das Beispiel USA an: Jeder Idiot versteht Bush, und jeder Zweite merkt sogar die Grammatikfehler, die er macht. Und was hat er für einen Ruf hier bei uns? Na ja, sagt der beste Freund, und du meinst, Putin liest abends in seinem knatschenden Bett immer noch ein bisschen Tolstoi, bevor er sich entscheidet, am nächsten Morgen das Kioto-Protokoll nicht zu unterschreiben? Ich tätschle ihm tröstend die Schulter. Nicht mehr lange, sage ich, bis der Babelfish Realität geworden ist. Und dann hat sich das was mit Sprachenlernen und Missverständnissen.

Genau, sagt er. Dann weiß man sofort genau, warum der andere schießt. Genau, sage ich. Und kicke den Dreckklumpen so doll, dass er zerplatzt.

Fragen zu Dreckklumpen? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN