DIE SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI PFLEGT IHREN BYZANTINISMUS
: Das SPD-Politbüro

Schön, dass die SPD noch wirklich große Sorgen hat. Der rot-grünen Koalition fliegen die Chinakracher nur so um die Ohren, der Vermittlungsausschuss ist in der Sackgasse, die europäische Verfassung steht vor dem Aus – und die Sozialdemokraten widmen sich tagelang der Frage, ob Hans Eichel oder nicht doch Christoph Matschie der bessere Vertreter für den 13. Platz im SPD-Präsidium wäre. Dieses Problem hat ähnlich tiefgreifende Auswirkungen auf den Fortgang der deutschen Parteiengeschichte wie die immer noch ungeklärte Frage, ob Gabi Zimmer auf der PDS-Liste für die Europawahl auf Platz eins oder Platz drei antritt. Der SPD-Vorstand hat gestern – neben vielen anderen – Eichel, den Finanzminister, und nicht Matschie, den Thüringer Landeschef, ins Präsidium gewählt. Na und? Ist das interessant? Nein. Ist das wichtig? Nein. Wird dadurch etwa der Osten wieder mal untergebuttert? Ach Gottchen.

Vorstand und Präsidium sind keine wirklichen Führungsgremien der SPD mehr. Der innerparteiliche Proporz und der Machtwille des Kanzlers haben sie zu einem langweiligen, machtlosen, 45-köpfigen Politbüro gemacht. Das erste Kriterium für die Wahl ihrer Mitglieder ist nicht Qualität, sondern Loyalität. Außerdem macht es sich für eine sozialdemokratische Führungspersönlichkeit gut, wenn sie entweder ein Mann oder eine Frau ist, entweder links oder rechts, entweder jung oder alt, entweder aus einem starken Landesverband oder einem schwachen. Aber wehe, sie ist eines davon nicht! Ganz besonders vorteilhaft ist es, wenn die Persönlichkeit irgendwie wichtig ist. Dann wird sie einer von fünf Stellvertretern und muss nichts mehr tun. Das ist die sozialdemokratische Form des Byzantinismus. Das Präsidium präsidiert.

Wollte die SPD-Führung wirklich arbeitsfähig sein, brauchte sie nur einen Vorsitzenden, zwei Stellvertreter und einen kleinen, schlagkräftigen Vorstand. Der könnte, falls es ihn dann noch gäbe, den sozialdemokratischen Kanzler ruhig unterstützen, er müsste ihm nur nicht immer nachlaufen. Es bliebe sogar noch Zeit, sich um so etwas Unmodernes wie langfristige Politikplanung zu kümmern. Dieses Modell liefe auf etwas ganz Simples hinaus: Die Führung führt. JENS KÖNIG