fußpflege unter der grasnarbe
: La Ola und die nationale Westerwelle

Die Kombination aus Schönheit und Klugheit ist bei Menschen äußerst selten anzutreffen. Auf dem Zeitschriftenmarkt ist sie derzeit käuflich zu erwerben. In Zeiten, in denen in kurze Häppchen gejingelte Dummheits-Lawinen aus Radio und Fernsehen schreien, sind die in GALORE abgedruckten mehrseitigen Gespräche mit intelligenten Menschen geradezu überlebensnotwendig. Zumal Länge Pointiertheit nicht ausschließt. So, wenn Motörheads Lemmy Kilmister knackig zusammenfasst, was es über den US-Präsidenten so zu sagen gibt: „Bush? Ich würde nicht einmal in seinen Mund pissen, wenn ich wüsste, dass seine Zähne brennen.“

In der aktuellen Ausgabe sei das Interview mit Sven Regener, dem Schöpfer des „Herrn Lehmann“ empfohlen: „Nationalismus“, „Marxismus-Leninismus“, aber auch das Gequatsche von „mein Kiez“ und „mein Dorf“, sagt er, habe letztlich eine ähnliche Funktion, das „Sehnen nach einer kollektiven Identität“ nämlich. Und die sei ihm suspekt. Harte Worte, gerade für die wortgewaltige Szene so genannter kritischer Fußballfans. Sollte die Verbundenheit zu einem Club – und jetzt sind wir endlich im Ressort „Leibesübungen“ – etwa auch nur so eine Krücke sein, mit der man sich im Nebel der Unübersichtlichkeit mühsam aufrecht hält? Ein wärmender Vereinsschal für die frierende Seele?

Wahrscheinlich wären es solche Gedanken wert, einmal zu Ende gedacht zu werden. Denn wo, wenn nicht unter dem Mäntelchen des Sports oder der Anhängerschaft zu ihm, darf man auch als auf zwei Beinen gehender Mensch so ganz ungestraft monströsen Unsinn erzählen? Etwa dass ein Duell HSV gegen Bayern München allein deshalb höhere Weihen erlange, weil man sich eben zu Hamburg bekennen könne, was aber für das Land, in dem diese Stadt nicht zu Unrecht liegt, überhaupt nicht gelte. Und auch, dass der Bremer Jung eben viel inniger für Werder grätsche als der zugezogene Franzose oder Pfälzer, darf ungestraft behauptet werden.

Kein Wunder, dass sich Trainingsjacken mit Städte- oder Stadtteilaufdrucken letzten Sommer so gut verkauften. Wer sich „Barmbek“ oder „Hannover“ auf die Brust schreiben lässt, druckt auch seine Telefonnummer auf den Rücken. Ob da jemand anruft, ist die zweite Frage, denn der Deutsche ist dort zufrieden, wo er grade hingeboren wurde. Das sagt eine bundesweite Studie, wonach selbst über 90 Prozent aller Gelsenkirchener sich nicht vorstellen können, irgendwo anders zu wohnen.

Nichts dagegen, wenn man meint, man müsse sich unbedingt irgendwozu bekennen. Aber muss man das noch ideologisch aufladen? Für echten Nationalstolz zu feige und dann bei der EM von Fußball-Patriotismus rumlavieren, das kann der Sportler jedenfalls gut. So gesehen ist Sönke Wortmann eine Art Extremsportler. Jedenfalls findet er, dass „ein gesunder Nationalstolz ein Land gelassener“ mache. Deshalb will er für die WM 2006 Werbespots drehen, die Deutschland als „weltoffen, selbstironisch und tolerant“ zeigen. Hut ab. Wer solche Aufträge annimmt, schafft es auch, Big Macs an Vegetarier zu verkaufen.

Im Windschatten der Wortmänner fällt gar nicht mehr auf, wie viele humanoide Luftballons wie Guido Westerwelle mittlerweile unbedingt wieder ein bisschen patriotischer sein dürfen wollen. Und zwar einfach, so der wandelnde Frisierschaum, weil er so unheimlich gerne in Deutschland lebe. Damit liefert Westerwelle all denen die Argumente frei Haus, die an einen gesunden Patriotismus so wenig glauben wie an einen lebendigen Dinosaurier. Denn ein Land, in dem Westerwelle gerne lebt, hat wirklich alles falsch gemacht, was man als Land so falsch machen kann.

Fotohinweis: Christoph Ruf, 33, arbeitet als freiwilliger Journalist in einem kleinen Ort im Badischen, von dem es noch keine Bekennerjacken gibt.