Stromberg singt

Mit „Haare, Joint und Wassermann“ feiert das Schauspielhaus das Hippiegefühl. Und Intendant Tim Stromberg nutzt die Gelegenheit, noch mal auf offener Bühne einen Joint durchzuziehen

von Katrin Jäger

„Bitte setzen Sie die schwarze Augenbinde auf. Chefsache!“ So die Anweisung des Kartenabreißers vor dem Einlass in den Malersaal. Dort hatte am Samstag zur späten Stunde das Potpourri Haare, Joint und Wassermann Premiere.

Man tastet sich also ins Dunkel, ein Kissen unter den Arm geklemmt, denn wie in jeder echten Opiumhöhle sitzt das Publikum auf dem Boden. Was die Augen nicht sehen, schnüffelt die Nase sofort: Haschisch, gemischt mit dem speziellen Patschuli Räucherstäbchengeruch der Eso-Hippie-Diskotheken von damals, als man mit „When The Moon Is In The Seventh House“ im Ohr durch die Straßen schlenderte.

Nach Abnahme der Augenbinde eröffnet sich ein längst vergessen geglaubter Anblick. Durch dicke Disconebelschwaden hindurch schimmert ein beiges Plüschsofa, links hinten steht eine alte Badewanne, randvoll gefüllt mit Marihuanapflanzen. Vor der Rückwand hängt ein schwerer, goldglänzender Vorhang. Es ist gemütlich, fast ein bisschen konspirativ, wenn die beiden miniberockten Frauen (Sophie Hepp und Katharina Wienecke) den Song vom „Wassermannzeitalter“ spielen. Der Schlagzeuger von der Schauspielhauskapelle schwingt hinter dem großen, von Glühbirnen beleuchteten Peace-Zeichen die Drumsticks, die fünf SängerInnen beschwören mit der Ohrwurmmelodie mehrstimmig schön das friedliche Zeitalter – auf deutsch, wie auch die folgenden Lieblingsstücke aus dem Kultmusical Hair. Die Texte stammen von einer „deutschen Originalaufnahme“ von 1968.

Mit ihrer Wiederbelebung des Hippiegefühls wollen Schauspielhausintendant Tom Stromberg und seine SchauspielerInnen zeigen, dass „deutsches Liedgut auch ohne Quote eine Überlebungschance hat“. Zwischen den im Raum verstreuten XXL-Plüschhockern schmettert Anne Weber den „Wassermann“ hinter einem Schleier aus langen Haaren, der ihr Gesicht vollständig verdeckt. Alexander Scheer klagt, er sei ein „schwarzes Schaf“: ein „Kongo Affe“, ein „Nichtstuer und Frauenschläger“ – eine Projektionsfläche für alles, was die Vorurteilslandschaft Schwarzen gegenüber hergab in den 60ern.

Scheer schwitzt sich seine schwarze Farbe vom Leib, ein angemalter Weißer, der den Vorurteilsbehafteten spielt, so wie er eben noch auf der Hauptbühne des Schauspielhauses den „Othello“ gegeben hat. Zusammen mit dem „Jago“-Darsteller Wolfram Koch hat er Räume und die Identität, nicht jedoch das Outfit gewechselt; statt in Liebesschmerz ergehen sie sich jetzt in revolutionärer Energie.

Die Kultsongs von der „scheinenden Sonne“ und von „Donna“, sie klingen auf deutsch merkwürdig stoppelig, ja lustig – zumal in der Rückschau. Tom Stromberg, kurzhaarig, dafür aber mit brauner Kunstfellweste bekleidet, inhaliert seinen Joint, reicht ihn an die Kollegen und die Zuschauer weiter. Die Stimmung steigt, auf der Bühne und auf den Sitzkissen davor.

Eine junge Frau im blauen Dirndel springt auf, wiegt den Oberkörper zu „Hare Krishna“, ältere Zuschauer machen beseelte Gesichter, Stromberg tönt: „Weil ich ein Genie bin, glaube ich an Gott“. Rocko Schamoni im Prollglanztrainingsanzug und Altpunk Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen im Palettenminikleid besingen augenzwinkernd die Enge gesellschaftlicher Konventionen, während zwei Friseurinnen am linken Bühnenrand die Haarpacht einiger Statisten bearbeiten.

Es ist eine unterhaltsame, peacige Stunde der Kritik am Krieg – damals war es Vietnam, heute die globale „Terrorbekämpfung“. Womöglich kommentiert diese haarige Party aber auch die Tatsache, dass Stromberg 2005 seinen Intendantenplatz räumen muss, weil sein Konzept nicht in das spaßgesellschaftliche Kulturverständnis des Hamburger CDU-Senates passt.

Wieder am 3.12. und 17.12., 23 Uhr, Deutsches Schauspielshaus, Malersaal