Wild auf Demokratie

Ukraines Grand-Prix-Siegerin Ruslana protestierte mit Hungerstreik gegen den Wahlbetrug– eine wichtige Geste

Sie war ohnehin schon zwischen Lemburg und dem Donezbecken eine Berühmtheit: Ruslana Leschichko, 30, populärste Sängerin der Ukraine und Gewinnerin des Eurovision Song Contest im Mai in Istanbul. „Wild Dance“, so der Titel ihres stampfend anmutenden Songs, ist seit dem Frühsommer eine Art zeitgenössische Nationalhymne des jungen, weil erst seit Anfang der Neunzigerjahre von Russland unabhängigen Staates. Mitte der Woche hat die Künstlerin ihre politische Neutralität aufgegeben und sich den Protesten gegen die offenkundigen Verfälschungen des Wahlergebnisses angeschlossen. Nur Tee und Wasser hat die energische Entertainerin zu sich genommen.

Mit einem Hungerstreik signalisierte sie den in Kiew Protestierenden, dass sie „den orange Aufstand“ gegen Schummeleien herzlich unterstützt. Obendrein mit kühlem Kopf: „Wir wollen nach Europa“, sagte sie, „und Europa soll wissen, dass wir in der Ukraine verstehen, worauf es ankommt“: auf die korrekte Einhaltung getroffener Regeln, ihre Nachprüfbarkeit und den Verzicht auf Fälschungen. „Die Erfahrung habe ich ja bei der Eurovision gemacht – jedes Spiel lebt von den Regeln. Die Nichtbeachtung hat mich empört.“ Was eben jene Haltung ist, die den Protest in der Ukraine eint: Wie auch immer ein Votum ausfällt – es muss nach fairen Maßstäben erreicht worden sein. Boxer Witali Klitschko sekundierte: „Im Sport gilt das ja auch.“

Ruslana Leschichko, in Lemberg geboren, mag als wohlfeile Rebellin durchgehen, die ihren Protest erst anmeldete, als der Wunschkandidat Moskaus moralisch – vor allem in Metropolen wie Kiew, Lemberg oder Sotschi – diskreditiert war. Tatsächlich hat sie sich schon, so ist es überliefert, in Istanbul beim Grand Prix Eurovision im Mai von osteuropäischen Kungelrunden fern gehalten: Sollte sie gewinnen, so meinte sie, müsse ihr Triumph dem Lied, nicht Absprachen in Hinterzimmern zu verdanken sein. Und: Sie kann es sich leisten – als Madonna Osteuropas. Selbst verheiratet, leistete sie es sich trotzdem, bei einem schwul-lesbischen Sommercamp aufzutreten: „Ich bin nicht lesbisch, aber es ist eine Schande, Homosexuelle zu unterdrücken.“ Der konservative Teil der ukrainischen Gesellschaft nahm ihr dies übel, aber sie war längst prominent genug, um das aushalten zu können.

In einem Interview mit der Welt am Sonntag unterstrich sie ihr waches demokratisches Bewusstsein, als sie darauf hinwies, dass Wiktor Jutschenko in den oligarchisch bestimmten Medien kaum Chancen erhalten habe, „über seine Pläne zu sprechen“. Und: „Sollte es zu Neuwahlen kommen, werden wir darauf drängen, dass beide Kandidaten vergleichbare Chancen bekommen.“

Ihren Hungerstreik werde sie sofort wieder aufnehmen, wenn es keine Neuwahlen geben sollte. Vorläufig aber freue sie sich darauf, „die Politik wieder zu vergessen und mich ganz auf die Musik zu konzentrieren“. Ruslana mit Blick auf die übernächsten Aufgaben: „Wenn wir nächstes Jahr den Grand Prix organisieren, wollen wir zeigen, wie sehr wir zu Europa gehören.“ JAF