Trügerische Ruhe unter dem Vulkan

Ruandas mutmaßlicher Einmarsch im Osten der Demokratischen Republik Kongo zur Jagd auf ruandische Hutu-Milizen wird im Kongo ungewohnt gelassen aufgenommen. Doch Politiker und UN bereiten sich schon auf das Ende des Friedensprozesses vor

AUS GOMA DOMINIC JOHNSON

Vor der düsteren Kulisse des roten Feuerscheins, der über dem Vulkan Nyarigongo die regnerische Nacht von Goma erleuchtet, sind die Straßen der ostkongolesischen Provinzhauptstadt nach Sonnenuntergang fast menschenleer. Seit einer Serie ungeklärter Morde in den letzten Wochen geht in der 500.000 Einwohner zählenden einstigen Rebellenhauptstadt die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg um. Jetzt hat auch noch Ruanda angekündigt, zwei Jahre nach dem Abzug seiner Armee aus dem Kongo erneut militärisch zu intervenieren, um die im Kongo stationierten Hutu-Milizen endgültig niederzukämpfen.

Die UN-Mission im Kongo (Monuc) tut so, als habe sie die Lage im Griff. Am Straßenrand beobachten asiatische Blauhelme die Fahrzeuge. Aber wenn in der regennassen Nacht ein Geländewagen durch die tiefen Pfützen heranrauscht, springen sie lieber einfach aus dem Weg. Tagsüber ist es ähnlich: Um Goma herum sind weiße UN-Hubschrauber im Einsatz. Sie fliegen die Grenze zu Ruanda ab und suchen aus der Luft nach Zeichen eines ruandischen Einmarsches. Bisher vergeblich.

Aber Beobachter mit guten Kontakten zum Militär sind sich absolut sicher, dass Ruanda längst wieder im Ostkongo steht. Von bis zu sechs Bataillonen mit bis zu 4.000 Mann ist die Rede. Und zwar nicht an der Grenze.

Im Distrikt Walikale, mindestens 100 Kilometer tief in kongolesischem Gebiet, sollen Ruandas Truppen dieser Tage einen Hauptstützpunkt der ruandischen Hutu-Milizen erobert haben. Die Milizen, die als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) auftreten, sind hier fest angesiedelt und betreiben Bergbau. Es ist ihre wichtigste Basis neben der Provinz Süd-Kivu weiter südlich, wo einige von ihnen sogar in die kongolesische Armee eingegliedert worden sind und sich mit Begeisterung an der Jagd auf ruandischstämmige kongolesische Tutsi beteiligen.

Die Milizen sind aus UN-Sicht das größte Hindernis für den Frieden im Ostkongo. Eigentlich soll die Monuc sie demobilisieren und nach Ruanda zurückbringen. Aber das basiert auf Freiwilligkeit. Gegen Milizionäre, die weiterkämpfen wollen, sind UN-Soldaten machtlos, selbst wenn sie aus Kongo heraus Ruanda angreifen. Die UNO habe versagt, erklärte erst letzte Woche Ruandas Präsident Paul Kagame dem UN-Sicherheitsrat. Ruanda habe „keine Wahl“, als selbst einzugreifen.

Während solche Erklärungen sonst immer für helle Empörung im Kongo sorgen, herrscht diesmal merkwürdige Ruhe. Keine flammenden Aufrufe, den „Aggressor“ zu bekämpfen. Im Ostkongo glauben daher die meisten, es gebe einen Deal: Weil Kongo und UNO die Hutu-Milizen loswerden wollen, das aber nicht selber schaffen, seien sie jetzt heilfroh, dass Ruanda die Drecksarbeit machen will.

Partei ergreifen werde die UN-Mission jetzt nicht, bestätigt ein hochrangiger UN-Diplomat. Schließlich sei man gleichermaßen gegen die Präsenz von Ruandas Armee wie auch gegen die der ruandischen Milizen. „Unser Mandat ist es, kongolesische Zivilisten zu schützen“, sagt er. Also nicht Ruander daran zu hindern, im Kongo aufeinander zu schießen. Dennoch werde wohl eine „Demonstration der Stärke“ nötig sein. Denn wenn im Ostkongo ein neuer Krieg unter Beteiligung Ruandas beginnt und die größte UN-Mission der Welt untätig bleibt, wäre das „das Ende von UN-Friedensmissionen“.

Während die Ruhe auf UN-Ebene Ratlosigkeit kaschiert, verbirgt die Ruhe auf kongolesischer Seite vielleicht ganz eigene Planungen. In der Hauptstadt Kinshasa kursiert ein Szenario: Die Hardliner um Präsident Joseph Kabila, die sowieso wenig Lust auf die für 2005 angesetzten Wahlen haben, rufen den Ausnahmezustand aus, suspendieren die Allparteienregierung und schicken die mitregierenden Exrebellen des Ostkongo zurück nach Goma. Dann würde wieder offener Krieg herrschen. Der UN-gestützte Friedensprozess, gemäß dem seit 2003 alle einstigen Kriegsparteien gemeinsam regieren, wäre tot.

Als lachende Dritte könnten dann die Anhänger des einstigen Diktators Mobutu auftauchen, mit dessen gewaltsamem Sturz 1996-97 die Kongokriege begannen. Die „Mobutisten“ scharen sich derzeit um Kongos Vizepräsident Jean-Pierre Bemba, Sohn des reichsten Geschäftsmannes des Landes und während des Krieges als Chef der Rebellenbewegung MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) Herr über das nördliche Drittel des Kongo. Ein Militärputsch der Ewiggestrigen in Kinshasa mit internationaler Billigung zur Rettung des Friedensprozesses wäre eine surreale Krönung des Niedergangs dieses Landes.