„Pro Reli“-Anhänger unter sich

HOCHBURG In einem Wilmersdorfer Wahllokal stimmen 414 von 416 Teilnehmer mit Ja. Kann das sein?

Das Vier-Sterne-Hotel Ramada Plaza ist die elegante Variante eines Wahllokals. Es liegt in der von Bäumen gesäumten Prager Straße in Wilmersdorf. Im – barrierefreien – Erdgeschoss des Hotels durften am Sonntag die 1.601 Abstimmungsberechtigen des Bezirks 04197 für den „Pro Reli“-Volksentscheid ihre Stimmen abgeben. 416 taten das auch, 414 von ihnen kreuzten Ja an. Eine Stimme war ungültig, und nur einer stimmte mit Nein. 99,5 Prozent für „Pro Reli“, vermeldete der Landesabstimmungsleiter – so viel wie nirgends in der Stadt. Doch ging dabei alles mit rechten Dingen zu?

„Das ist tatsächlich merkwürdig“, bestätigt der zuständige Bezirksabstimmungsleiter Wolfgang Schulz. „Wir werden das überprüfen müssen.“ Würden dabei Fehler bemerkt, will Schulz dem nachgehen und sich die Wahlniederschriften wie etwa das Wählerverzeichnis anschauen. Angesichts der deutlichen Niederlage von „Pro Reli“ würde dies aber letztlich im Ergebnis keine Rolle spielen, so der Bezirksabstimmungsleiter.

Die 72-jährige Erna S. kam am Sonntag ganz früh ins Ramada Plaza, um für „Pro Reli“ zu votieren. „Jeder, den ich kenne, hat so abgestimmt“, erzählt sie. „Hier leben viele ältere Menschen, die schon lange ansässig und katholisch sind.“ Aber auch ihre Kinder hätten für ein Wahlpflichtfach Religion votiert. Die Familie gehört zur katholischen Sankt-Ludwig-Gemeinde, die aktuell fast 11.000 Mitglieder zählt und 1,5 Kilometer Luftlinie entfernt ihre Pfarrei hat. Die fast einstimmige „Pro Reli“-Wahl könnte also tatsächlich am hohen Anteil gläubiger Bewohner liegen, die auch ganz brav zur Wahl gegangen sind.

Michael H., der nicht in der grünen Gegend rund um den Prager Platz wohnt, aber hier arbeitet, mag daran nicht so recht glauben: „Bei der Wahl wurde doch betrogen. Man kann von einer gemischten Bevölkerung ausgehen.“

Das beweist ein Blick auf den Platz: Hier sitzen zwar auffallend viele ältere Menschen auf den Parkbänken rund um den Springbrunnen, aber auch etliche Familien mit Kindern sind anzutreffen. Die junge Mutter Maria S. kann sich durchaus vorstellen, dass die Wahl mit rechten Dingen zuging, „weil hier einfach viele Menschen für Meinungsfreiheit sind. Das sind Freidenker, und die wollen sich nicht bevormunden lassen.“ Auch eine ansässige Muslimin hält den auffälligen Ausgang der Wahl für möglich, allerdings aus einem anderen Grund: „Es leben viele Gläubige in der Gegend, auch viele gläubige Ausländer – und wir Muslime sind für den gleichberechtigten Religionsunterricht.“

Eine Anwohnerin will vor allem ältere Personen und Familien beim Ein- und Ausgehen in das Ramada Plaza gesehen haben. Ob diese tatsächlich nahezu geschlossen für „Pro Reli“ gestimmt haben, wird sich erst nach der Prüfung des Stimmbezirks 04197 herausstellen.

TINA HADERLEIN