Leere Versprechen am S-Bahnhof

Die rechte Szene versucht, schon Fünft- oder Sechstklässler zu werben, resümieren Experten auf einer Fachtagung. Ein weiteres Fazit: Besonders an Berufsschulen häufen sich Gewalttaten von Schülern

VON TORBEN TRUPKE

Berlins Neonazi-Szene erschließt sich neue Zielgruppen – und umwirbt immer jüngere Kinder: „Mittlerweile versuchen die sogar, Fünft- und Sechstklässler für sich zu gewinnen“, berichtete Michael Rump-Räuber gestern auf der Abschlusstagung des Standpunkte-Projektes gegen Gewalt. Rump-Räuber, Rechtsextremismusexperte am Institut für Schule und Medien, forderte deshalb stärkere Bemühungen der Schulen im Kampf gegen braunes Gedankengut.

Der Fachmann macht eine deutliche Verjüngung der Szene in den letzten Jahren aus: Der Großteil rechter Gewalttäter sei zwischen dreizehn und neunzehn Jahren alt. Offenbar scheuen die Rechtsradikalen auch nicht mehr vor Anwerbungsversuchen in aller Öffentlichkeit zurück. „Häufig sprechen sie Kinder oder Jugendliche in der Nähe von S-Bahn-Stationen an und locken sie in ihre Treffpunkte“, schildert Rump-Räuber seine Erfahrungen. Die Neonazis machten sich gezielt die Perspektivlosigkeit vieler junger Leute zunutze und köderten sie mit attraktiven Versprechungen.

Für Ärger an den Grundschulen der Stadt sorgt aber auch die zunehmende Militanz der Schüler (die taz berichtete). „Immer mehr Kinder kommen mit Waffen in den Unterricht“, sagte Bettina Schubert, Leiterin des Referats für Gewaltprävention des Berliner Senats. Was sie mitbringen, finden sie laut Schubert zu Hause im Regal der Eltern. Insgesamt befinde sich die Zahl der Fälle aber auf einem niedrigen Niveau. Der rapide Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren könnte aber auch mit der erhöhten Bereitschaft der Lehrer zusammenhängen, derlei Vorkommnisse zu melden. Offenbar sind die Pädagogen durch den Amoklauf von Erfurt hellhörig geworden.

„Speziell die Berufsschulen haben massive Probleme mit gewalttätigen Schülern“, stellte dann auch Klaus Poneß, Leiter der Hans-Böckler-Berufsschule in Kreuzberg fest. Und übte gleich unverhohlen Kritik an der Veranstaltung: „Was soll ein Netzwerk, in dem wir kaum repräsentiert sind?, fragte er die versammelten Runde aus 200 Lehrern, Schulpsychologen, Eltern, Schülern und Vertretern der Polizei. Auch wenn Moderator Klaus Seifried abzuwiegeln versuchte – Poneß hatte nicht ganz Unrecht. Dass die Berufsschulen zumindest auf der Tagung kaum vertreten waren, fiel auch Organisatorin Ursula Koch-Laugwitz auf. Die Tagungsteilnehmer waren sich einig, das ändern zu wollen.

Das Standpunkte-Projekt gegen Gewalt hat in den vergangenen drei Jahren schon beachtliche Erfolge erzielen können. So entstand in Reinickendorf ein psychosoziales Netzwerk. Im Bezirk Mitte gründete sich eine AG Gewaltprävention, an der Schulen und Polizei beteiligt sind.

Die Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und Staatsmacht klappt aber noch nicht ganz. „Ich wünsche mir eine bessere Einbettung unseres Präventionsangebotes in den laufenden Unterricht“, meinte Jochen Dose vom LKA. Das Standpunkte-Projekt wird im nächsten Jahr fortgesetzt.