Die Vielbeschäftigte

„Sagen wir es so: Bis vor wenigen Wochen habe ich mich in Bayern sehr wohlgefühlt.“ Wer so auf eine Frage nach der politischen Gesinnung antwortet, könnte sich verdächtig machen in gewissen Kreisen. Mancher an der Universität würde hinter diesem Satz einen konservativen oder gar reaktionären Geist vermuten. Doch reaktionär ist die Münchner Studentenvertreterin Gabi Stadler, 24, sicher nicht. Und konservativ? Nun ja, das ist wahrscheinlich Ansichtssache. Zwar versichert sie, dass sie nichts „gegen Stoiber und Goppel“ habe („Ich kenne die nicht persönlich“). Aber die Kürzungspläne des Ministerpräsidenten Stoiber und seines Wissenschaftsministers Goppel sind für sie „ein Schreckensszenario“.

In den vergangenen Wochen mutierte die Fachschaftssprecherin beinahe zu einer klassische Studentenführerin. Sie ist zwar immer noch „um politische Neutralität bemüht“, aber inzwischen bei den Münchner Uniprotesten tonangebend – auf ihre Weise: „Bei der Großdemonstration im November war es meine Aufgabe, die beiden Demonstrationszüge zusammenzuführen und die Geschwindigkeit zu halten. Und wider Erwarten hat es geklappt!“, freut sich die Lehramtsstudentin.

Und nicht nur aus „allgemeinen politischen Dingen“ wollte sich die junge Frau raushalten. Mit der Demo-Organisation wollte sie nichts zu tun haben. Dennoch ist die angehende Mathe- und Physiklehrerin inzwischen ganz vorne dabei bei den Münchner Protestaktionen gegen Bildungskürzungen. Bei ihrer studentischen Laufbahn ist das nicht verwunderlich.

Gleich zu Studienbeginn vor fünf Jahren ist Stadler in der Fachschaft aktiv geworden, nach dem dritten Semester wurde sie zur Studentensprecherin gewählt. Es folgen Studentischer Konvent, Didaktikkommission und seit diesem Semester Senat der Universität, das höchste Selbstverwaltungsorgan der Ludwig-Maximilians-Uni. Die Mitgliedschaft im Senat nennt sie Zufall. „Mir wurde gesagt, der Listenplatz sei ungefährlich.“ Was sie nicht davon abhält, den Zipfel der Macht interessant zu finden. „Ich bekomme Einblick in die Unistruktur und lerne noch eine ganze Menge dabei.“ Freizeit hat sie dennoch, versichert die Studentin und deutet auf ihren blau-weißen Strickschal. Ihr Eishocky-Verein waren die Munich Barons – bis sie Pleite gingen. Den Schal trägt sie weiter.

Ein Funktionärsfetischist ist der Irland- und Eishockey-Fan Stadler nicht. Ihre berufliche Zukunft hat sie klar vor Augen: „Seit der 5. Klasse ist mir klar, dass ich Lehrerin werden möchte.“ Ein Praxisjahr in einer Münchner Gymnasialklasse konnte sie nicht abbringen von ihrem Berufsziel. „Als ich am Jahresende gehen musste, wollten die Schülerinnen, dass ich ein weiteres Jahr bleibe.“ Wahrscheinlich hat dieses außerplanmäßige Lehrjahr Stadler zu einer gesunden Portion Pragmatismus verholfen. „Es gibt genügend Studenten, die glauben, dass die Kürzungen bei der Bildung nur ein einzelner Fehlgriff von Stoiber waren“, argumentiert sie. Deshalb würde eine Kampagne „Stoppt Stoiber“ nicht funktionieren, glaubt die Studentin. Die kommenden Wochen werden beweisen, ob die bayerische Regierung aus Versuch und Irrtum gelernt haben, bis dahin wird Gabi Stadler weiter versuchen, das Tempo der Proteste zu halten. Und die Politik rauszuhalten. Dabei werden viele Studenten weiterhin skandieren: „Stoiber – Hochschulräuber“.

MAXIMILIAN HÄGLER