Väter sollen an den Wickeltisch

Rollenklischees sind verantwortlich für die geringe Geburtenrate, sagt NRW-Sozialministerin Fischer. Ex-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan plädiert für mehr Väter in der Kindererziehung

AUS ESSEN NATALIE WIESMANN

Partnerschaften, in denen beide arbeiten und die Kinder erziehen, halten länger als Beziehungen mit alten Rollenaufteilungen. Diese These stellte Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina gestern bei einem Demografie-Kongress in Essen in den Raum. Außerdem plädierte die Ex-Anwärterin auf das Bundespräsidentenamt für eine so genannte Entzerrung der Biografien: „Es geht nicht, dass zwischen 25 und 35 Jahren gleichzeitig Karriere und Kinder gemacht werden müssen“, sagt Schwan. „Es gibt sehr Vieles, das der Mensch mit 55 oder 65 Jahren besser machen kann als mit 35“, weiß die 61-Jährige aus ihrem eigenen Leben. Die Leitung einer Universität hätte sie mit 35 nicht übernehmen wollen. „Der Verschleiß der Jugend in der Wirtschaft muss endlich gestoppt werden“, richtet sie sich an die Adresse derjenigen, die glauben, dass nur junge Menschen viel leisten können.

Mit ihrem Plädoyer für mehr Gelassenheit in der Karriereplanung auch in Hinsicht auf eine längere Lebenserwartung kam Schwan beim Fachpublikum sehr gut an. Auch mit ihre kleinen Spitzen gegen oder für die Männer: „Männer hatten früher in allem das Sagen und sind doch nur Menschen wie du und ich“ sagt sie mit einem Lächeln. Den Männern von heute würde es gut tun, wenn sie ihre Rolle entkrampfter und eine Karriere nicht als Pflicht sehen würden.

Auch für Sozialministerin Birgit Fischer (SPD), die zum Kongress geladen hatte, sind die tradierten Rollenklischees und die engen Zeitfenster für die Familiengründung ein Grund für die niedrige Geburtenrate in Deutschland. Doch sie sieht Auswege aus der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie: „NRW ist Vorreiter bei flächendeckenden Etablierung von Ganztagesschulen“, so Fischer. Außerdem habe sie unlängst eine Postkartenkampagne gestartet. Mit Sprüchen wie „Verpass nicht die Chance deines Lebens“ und „Papas Chef trägt Windeln“ soll so Vätern der Erziehungsurlaub schmackhaft gemacht werden.

Doch die Väter sind nur eine Seite, die es zu gewinnen gilt. Institutionen wie der „Verbund für Unternehmen und Familie“ in der Region Emscher-Lippe versuchen Unternehmen für flexiblere Arbeitszeitmodelle auch für Männer zu gewinnen.

Dass die Menschen immer älter werden, ist die andere Seite des demografischen Wandels. Doch Wissenschaftler und Politiker in NRW wollen den Drohszenarien einer „Rentnerflut“ oder gar eines „Kriegs der Generationen“ mit Optimismus begegnen. „Die gestiegene Lebenserwartung ist ein großer Gewinn für uns alle“, sagt Fischer. Weil viele ältere Menschen noch aktiv seien, könnte die Gesellschaft gut von ihrem bürgerschaftlichen Engagement profitieren.

Und weil viele der Senioren in sicheren finanziellen Verhältnissen lebten, eröffne sich der Wirtschaft ein ganz neues Feld. Dafür hat Fischer die Landesinitative „Seniorenwirtschaft“ ins Leben gerufen: Sie soll die teilweise „altenblinde“ Wirtschaft anzustoßen, Produkte und Dienstleistungen im Bereich Freizeit, Tourismus, Wohnen oder Kommunikation zu entwickeln. Hier könnte Nordrhein-Westfalen und vor allem das Ruhrgebiet „Schrittmacher“ sein. Denn das Revier ist den anderen Regionen in Deutschland in der Vergreisung der Gesellschaft um 20 bis 25 Jahre voraus.