Neue Öffentlichkeit für Gewalt gegen Frauen

Gestern eröffnete in Dortmund die erste Landesfachstelle für autonome Frauen- und Mädcheneinrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Gewalt gegen Frauen und Mädchen soll endlich geächtet, das Tabu gebrochen werden

RUHR taz ■ Gewalt gegen Frauen soll nun landesweit an die Öffentlichkeit geholt werden. Mit der gestern in Dortmund eröffneten Landesfachstelle für Hilfseinrichtungen für von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchenverbinden sich die Anlaufstellen in Nordrhein-Westfalen. „Unsere gemeinsame Forderung ist: Gewalt gegen Mädchen und Frauen muss als Menschenrechtsverletzung anerkannt und unsere Hilfsangebote müssen ausgebaut werden,“ sagte Renate Blitt-Enge von der Dortmunder Frauenberatungsstelle. Bisher seien die Frauenhäuser, Notrufe und Beratungsstellen schon mit der Hilfe für die Frauen so überlastet, dass keine Zeit bliebe, das Thema in die Gesellschaft zu tragen.

Die „Landesfachstelle autonomer Frauen- und Mädcheneinrichtungen gegen Gewalt NRW“ will neben Öffentlichkeitsarbeit auch Fortbildungen organisieren sowie sich an wissenschaftlichen und politischen Diskussionen beteiligen. Alle Schaltstellen der Gesellschaft, wie die Justiz und Polizei, sollen informiert werden, so die Soziologin Regine Derr, eine der drei Beschäftigten der Landesfachstelle. Aktuelle politische Entscheidungen sollen analysiert werden. Im kommenden Jahr sollen vor allem Hartz IV, das neue Opfer-Entschädigungsgesetz und die Situation von Migrantinnen bearbeitet und dann veröffentlicht werden.

„Nach wie vor wird jede vierte Frau vom eigenen Partner misshandelt“, sagte Eva Grupe vom Frauenhaus Dortmund. Jedes vierte Mädchen und jeder siebte Junge werden bis zu ihrem 18. Lebensjahr sexuell missbraucht. Oft wüssten die Opfer zu wenig von ihren Hilfsmöglichkeiten.

Die erste bundesweite Studie über das Ausmaß der Gewalt, die in dieser Woche vorgestellt wird, gibt Grupe recht: Sie bringt nicht nur erschreckende Erkenntnisse über die Zahl der Opfer zutage, sondern zeigt auch ihre Unwissenheit. Viele der Frauen und Mädchen haben von Frauenhäusern oder ihren Möglichkeiten vor Gericht noch nie etwas gehört.

Groß ist auch immer noch die Ignoranz in der Gesellschaft: „Voraussetzung für den Abbau der Gewalt ist es, dass die Öffentlichkeit Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Problem der gesamten Gesellschaft erkennt“, so Derr. Laut Grupe vom Frauenhaus hege die Bevölkerung immer noch massive Vorurteile. „Die Mehrheit glaubt immer noch, Gewalt gegen Frauen sei ein Problem der Unterschicht.“ Das sei natürlich blanker Unsinn. Gewalt und Mißhandlungen fänden sich in jeder Schicht, in ungebildeten und gebildeten Familien.

Claudia Eckern von der Landesarbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser erhofft sich von der neuen Landesstelle einen Tabubruch. „Je öffentlicher die Misshandlungen werden, desto besser können sie verhindert und abgebaut werden“, sagt sie. Über die neue Öffentlichkeit könne die Gesellschaft wahrnehmen, wie immens die Auswirkungen der Gewalt seien, zum Beispiel die langfristigen körperlichen und seelischen Leiden von missbrauchten Kindern. „Das ist ein gesellschaftliches Problem, kein vereinzeltes.“

ANNIKA JOERES