Polizistin in Kabul: Pionierin und Schande

Afghanische Polizistinnen lernen in Deutschland Schießen und Spuren sichern. Zu Hause läuft vieles anders

„Gerade in leitenden Positionen sitzen oft Männer mit reaktionärer Gesinnung“

BERLIN taz ■ Polizistin in Afghanistan, das ist ein harter Job. Doch nicht wegen der Verbrecher. „Nicht eine unserer Familien ist stolz auf unseren Beruf. Und auf den Straßen werden wir fast täglich begafft, belächelt oder beschimpft“, sagt Wagma Saafi, Generalin der afghanischen Polizei. Zwei Wochen lang bilden sich Saafi und sechs Kolleginnen auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Deutschland fort. Sie lernen, wie deutsche Polizisten Spuren sichern, das Schießen trainieren und illegale Grenzgänger verfolgen. Vor allem aber soll die zusätzliche Kompetenz ihnen den Rücken stärken – gerade gegenüber den eigenen Kollegen von der Polizei.

„Mein Mann ist selbst Polizist. Begegne ich ihm im Dienst, grüßt er mich nicht. Keiner der Kollegen darf wissen, was ich für einen Beruf habe“, klagte Saafi am Dienstagabend bei einem Roundtable in Berlin. Eine Frau, die nicht zu Hause am Herd steht, sondern in der Öffentlichkeit tätig ist, gilt in Afghanistan als Schande. Immer noch.

Gerade einmal 70 Polizistinnen arbeiten in ganz Afghanistan, davon 60 allein in Kabul. Der riesige Rest des Landes ist fast polizistinnenfrei – und wird es wohl noch lange Zeit bleiben, auch wenn das Innenministerium in offiziellen Äußerungen um weibliche Arbeitskräfte wirbt. So berichtet Soraja Paikan, Jura-Professorin an der Universität Kabul: „Mehrmals erzählten mir Frauen, dass sie vergeblich für den Polizeidienst vorgesprochen hätten. Das Ministerium sagte ihnen: Wir haben keinen Bedarf.“ Eine Variante: „Die Frauen machen ein Jahr lang eine Polizistinnen-Ausbildung. Anschließend sagt ihnen die Behörde: Der Kurs wurde nicht richtig durchgeführt, ihr müsst ihn noch mal machen.“

Doch auch ohne diese Schikanen blieben Frauen in Uniform wohl eine Rarität. Zwar bemühen sich die Polizistinnen, junge Frauen für den Beruf zu begeistern. Doch fast immer reagiert die Familie entsetzt. Kaum eine Frau wagt es, sich gegen die Verwandten zu stellen – schon deshalb, weil ein afghanischer Polizist, sei er Mann oder Frau, zu wenig verdient, um sich und seine Kinder alleine zu ernähren.

Ohnehin sind die Einsatzgebiete weiblicher Ordnungshüter selbst in Kabul beschränkt. Zwar werden auch in Afghanistan Polizistinnen an der Waffe ausgebildet. Anwenden aber können sie die praktische Fertigkeit des Schießens nicht. Eine Frau mit Pistole, das ist im Stadtbild undenkbar. Vier der Polizistinnen, die derzeit in Berlin sind, kontrollieren weibliche Passagiere am Flughafen, die meisten anderen arbeiten in der Verwaltung. Den Verkehr regeln, Streife fahren, gar Verbrecher verfolgen – das machen sie fast nur in der Ausbildung. Hin und wieder rufen die Kollegen eine Polizistin dazu, wenn sie eine Frau verhaften oder ihre Wohnung durchsuchen müssen. „Frauen allein im Streifenwagen, das wäre noch viel zu gefährlich“, sagt Frau Oberst Schafika Qurashi. „Sie müssten um ihr Leben fürchten. Zumindest aber nähme sie niemand ernst.“ Dies gelte besonders auf dem Land.

Dabei könnten Frauen auf Patrouille dazu beitragen, zwei Grundprobleme des heutigen Afghanistans zu mindern: Zum einen sind Sicherheit und Ordnung selbst auf den Straßen Kabuls noch längst nicht garantiert. Ehemänner wie Väter bannen Frauen und Mädchen ins Haus, weil sie fürchten, diese könnten vergewaltigt oder entführt werden – zumindest können sie das als Argument anführen. Außerdem fühlen sich Frauen von männlichen Sicherheitskräften nicht ausreichend geschützt. „Viele Berichte zeigen, dass männliche Polizisten Klägerinnen nicht ernst nehmen. Sie sind nur selten bereit, gegen andere Männer wegen häuslicher Gewalt oder Vergewaltigung zu ermitteln“, sagt Heiner Bielefeld vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Je stärker Polizistinnen im Stadtbild präsent seien, desto eher fühlten sich auch Frauen durch die Ordnungsmacht geschützt.

Zudem, so Bielefeld, erfüllen die wenigen Polizistinnen, die sich in ihrer Positionen behaupten, eine wichtige symbolische Funktion: Sie zeigen, dass sich Frauen in klassischen Männerberufen bewähren können.

Immerhin haben Frauen als Ordnungshüter in Afghanistan Tradition. Schon 1969 gab es hier Polizistinnen, wenn auch nur sechs. Während des Taliban-Regimes hatten sie Berufsverbot, nun sind Frauen gleichberechtigt – doch nur auf dem Papier. „Gerade in leitenden Positionen sitzen oft Männer mit reaktionärer Gesinnung“, klagt Schafika Habibi, eine mitgereiste Journalistin aus Kabul. „Sie müssen endlich lernen, was Recht und Ordnung ist.“ COSIMA SCHMITT