Alle alle alle gegen Willi

Mehrere Tausend SchülerInnen demonstrierten gestern gegen die geplante Schulreform – und die streikenden Uni-StudentInnen zogen gleich mit. LehrerInnen durften erst am Nachmittag protestieren – außerhalb ihrer Dienstzeit

Bremen taz ■ Es ist die erste Demo ihres Lebens. Die zehnjährige Nina hat eine Thermoskanne Tee dabei, ihre Freundin an der Hand und sich ein paar Gedanken gemacht. „Also, ab der dritten Klasse soll es Noten geben. Und das setzt die Schüler unter Druck“, erklärt die Fünftklässlerin ihren Protest. „Aber die aus der sechsten Klasse, die können das noch besser erklären.“

Ein paar Schritte weiter streitet sich derweil eine Studentin mit einem Kommilitonen. Ob man den Uni-Streik mit einer grundsätzlichen Kritik am Kapitalismus verbinden müsse. Aber ob Notenstress oder Kapitalismus-Kritik – gestern gab es ein gemeinsames Anliegen: „Das Schulgesetz in die Tonne treten“. SchülerInnen aus ganz Bremen demonstrierten unter diesem Motto gegen die geplanten Änderungen im Bremer Schulsystem. Bremer StudentInnen – seit vergangenene Woche im Uni-Streik – schlossen sich der Demo solidarisch an. 6.000 marschierten insgesamt, sagte die GesamtschülerInnenvertretung (GSV), 3.500 waren es, meinte die Polizei.

An den Wallanlagen hatten sich die Massen zunächst getroffen, Fußball auf dem vereisten Rasen gespielt, „Ton Steine Scherben“ gehört – und über die geplante Schulreform geschimpft. Künftig soll bereits nach der vierten Klasse entschieden werden, auf welche Schule das Kind kommt, so die Pläne der großen Koalition und von Bildungssenator Willi Lemke (SPD). Die Kleinen haben dann die Wahl zwischen Gymnasium, Gesamtschule oder einer neu zu schaffenden „Sekundarschule“, einer integrierten Haupt- und Realschule. Dann hätten weniger SchülerInnen die Chance auf einen höheren Bildungsabschluss, kritisiert die GSV: „Je früher selektiert wird, desto geringer sind die Aufstiegschancen im Schulsystem.“

Von den Wallanlagen ziehen die SchülerInnen und StudentInnen pfeifend zum Hauptbahnhof. „Paaarty!“ Schockierten Autofahrern werden Flugblätter unter die Scheibenwischer geschoben. Ein längerer Halt vor dem energie-Café der Stadtwerke swb Enordia an der Ecke Wall/Schüsselkorb. Dort liest justament Bildungssenator Willi Lemke aus einem seiner Lieblingsbücher – im Rahmen der „Bremer Mittagslesungen“ der Stadtwerke (siehe Bericht S. IV). Die SchülerInnen erbitten Einlass, Sicherheitsleute verrammeln die Tür. Eier fliegen, SchülerInnen treten gegen Scheiben. „In dem ganzen Whooling war keine Möglichkeit für ein Gespräch“, meint Lemkes Sprecher Rainer Gausepohl. Drinnen liest Lemke, draußen schimpfen die StudentInnen. Die Demo setzt sich unverrichteter Dinge fort.

„Das ist doch offensichtlich, was in dem Schulgesetz für ein Scheiß verzapft wird“, schimpftPeter Jacob, Lehrer am Schulzentrum Graubündener Straße auf dem Weg zum Bahnhof. Sein Schulzentrum soll zur integrierten Haupt- und Realschule werden – „einer reinen Restschule“, seufzt Jacob. Er war gestern einer der wenigen LehrerInnen in dem vormittäglichen Demonstrationszug. Die Bildungsbehörde hatte vorab in einem Schreiben darauf hingewiesen, dass „ungenehmigte Arbeitszeitversäumnisse der Lehrer rechtswidrig“ seien. 500 LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen trafen sich deshalb nachmittags noch einmal zu einer Demonstration – außerhalb der Dienstzeit.

„Was is’ne Kundgebung?“ fragte ein berucksackter Schüler seinen berucksackten Nebenmann auf dem Bahnhofsplatz. „Na des hier, man.“ „Des hier man“ fanden dann aber doch einige SchülerInnen zu öde. Sie besuchten lieber Imbissbuden oder gingen zum Shoppen in die Innenstadt. Derweil kritisierten die RednerInnen auf dem Bahnhofsplatz die „Umverteilung von unten nach oben“: „Es reicht mit dem Kapitalismus!“

Lea Voigt von der GSV kündigte weitere Aktionen der SchülerInnen an: „Wir kommen wieder – keine Frage!“ Noch ist dafür Zeit: Im Januar entscheidet die Bildungsdeputation über den Schulgesetz-Entwurf, im Februar die Bürgerschaft.

Dorothea Siegle