DER GENERALSTREIK IN ITALIEN BRINGT BERLUSCONI NICHT IN GEFAHR
: Der neueste Trick des Hütchenspielers

Nein, zittern musste Silvio Berlusconi nicht, auch wenn gestern wieder Millionen Italiener in den Generalstreik gegen seine Regierung traten. Italienische Generalstreiks haben etwas Rituelles. Sie können nur dann zum Sturz von Regierungen führen, wenn diese sowieso schon in Agonie sind.

Gerade aber hat Berlusconi sein Bündnis aus einer schweren Krise geführt: Mit dem am Wochenende verabschiedeten Steuersenkungsprogramm ist das Auseinanderbrechen der Koalition erst einmal abgewendet. Und Berlusconi gießt nun Spott über die Gewerkschaften, die angeblich für höhere Steuerbelastungen ihrer Mitglieder streiken.

Womöglich währt die Freude der italienischen Rechten aber nur kurz. Die Steuersenkungen haben massive Streichungen im Staatshaushalt zur Folge, deren Konsequenzen die Bürger von Januar an spüren werden. Wachsende Zuzahlungen im Gesundheitswesen, Streichungen kommunaler Sozialleistungen, die weitere Verknappung der Mittel für die Schulen, in die schon heute die Kinder ihr Klopapier selbst mitbringen müssen – das werden die Bürger dann missvergnügt gegen die paar Euro Einkommensteuersenkung aufrechnen.

Missvergnügen prägt schon jetzt weite Teile der italienischen Gesellschaft. Nicht nur die großen Gewerkschaftsbünde machen gegen Berlusconi mobil. In den letzten Monaten gingen Lehrer, Schüler und Eltern auf die Straße, streikten Richter, Staats- und Rechtsanwälte, waren die Universitäten in Aufruhr. Jetzt gesellt sich eine weitere Berufsgruppe dazu: die Unternehmer. Sie hatten vor drei Jahren Berlusconis Wahlsieg begeistert gefeiert und wenden sich nun enttäuscht ab.

Italiens Rechte mag zwar über den Generalstreik von gestern lächeln. Doch sie kann die Augen nicht davor verschließen, dass Berlusconis „neues italienisches Wunder“ ein pures Propagandaversprechen geblieben ist. Wenn erst einmal das Medienfeuerwerk zur Feier der „epochalen Steuerreform“ abgebrannt ist, werden die Wähler ernüchtert feststellen, dass ihr Ministerpräsident sie mit der Chuzpe eines Hütchenspielers regiert. Dann wird es eng für Berlusconi. MICHAEL BRAUN