Die Träume bleiben intakt

Trotz des 0:2 bei Manchester United und der Aussicht auf einen starken Achtelfinalgegner in der Champions League pflegen die Spieler des VfB Stuttgart weiter ihre positive Sicht der Dinge

AUS MANCHESTER RAPHAEL HONIGSTEIN

Dem armen Thomas Strunz sausten als Erstem die Ohren: 15 Minuten vor Spielbeginn bekam der Co-Moderator von Premiere in der VfB-Ecke ein herzhaftes „Wir wollen keine Bayernschweine!“ zur Begrüßung entgegengeschleudert. Selbigen wurde mit Hinblick auf das Bundesligaspiel am Samstag in München gleich im Anschluss verbal die traditionelle Beinbekleidung ausgezogen. Und weil von der verdutzten Gegenseite der ManU-Fans überhaupt nichts zurückkam, sangen die 3.000 putzmunteren Schwaben einfach weiter freche Lieder über Engländer im Allgemeinen und den Holländer Ruud van Nistelrooy im Speziellen, provozierten kräftig mit der Liverpool-Hymne „You’ll never walk alone“ und ließen eine seltene Welle durch Old Trafford schwappen.

Und auf dem Platz? Da spielten die einen schwungvoll, aber letztlich ineffektiv nach vorne, während die anderen tief und unerbittlich verteidigten und, genau wie in der heimischen Liga, ihre mickrigen Chancen in einen unterkühlten Sieg verwandelten. Das 2:0 sicherte den Hausherren den Gruppensieg, der VfB zieht als Zweiter ins Achtelfinale ein.

Immerhin: Felix Magaths Männer durften sich hinterher mit der hauptsächlich vom eigenen Anhang geschaffenen Atmospäre im Stadion trösten – „unsere Leute haben den Laden hier ja richtig okkupiert!“, freute sich Präsident Erwin Staudt noch drei Stunden später im gediegenen Marriott Worseley Park Hotel –, aber so richtig konkret blieb nur die Aussicht auf einen sehr starken Gegner im Achtelfinale übrig. „Man kann das positiv sehen“, sagte dazu der junge Philipp Lahm, „muss man aber nicht.“

Dabei hatte man in der ersten Halbzeit noch „ein gutes Gefühl“ (Magath) gehabt, dass im „Theater der Träume“ schon wieder ein kleines Lausbubenstück gelingen könnte. Die Verteidigung kam kaum in Verlegenheit, im Mittelfeld wurde der Ball gepflegt und schnell zum Mitspieler gebracht, nur vorne gelangte man nicht so recht zum Abschluss. United wirkte ebenfalls gänzlich unzwingend, aber Spitzenspieler wie Van Nistelrooy oder Ryan Giggs können eben auch zielsicher losfeuern, wenn das Schlachtschiff nur träge auf Autopilot vor sich hin schippert. Flanke Ryan, Kopfball Ruud – das 1:0 fiel genau mit dem Halbzeitpiff.

Es fing an, als es schon fast vorbei war, und dann war es vorbei, bevor es wieder richtig angefangen hatte. Giggs’ Treffer zum 2:0 (58., Vorarbeit Van Nistelrooy) löste den Glauben an ein Unentschieden endgültig in Luft auf. United ruhte sich für das Stadtderby gegen City am Samstag aus, und der Rest der Partie war dann das, was man in Englisch ein non-event nennt: gar nichts. „Unsere Moral war weg, wir hatten nichts mehr entgegenzustellen“, sagte Magath mit einem Schulterzucken. Seine Kritik fiel milde aus, allein das naive Zweikampfverhalten seiner Spieler vor dem zweiten Tor ließ den Teammanager zu einem kleinen Rundumschlag ausholen: „Zweikämpfe sind auch ein Kriterium für internationale Klasse. Da muss man sich wehren. Aber wir kriegen bei uns in der Liga beigebracht: Körperkontakt: Fallen. Das hat uns dann das Spiel gekostet.“

Die Enttäuschung darüber hielt sich im eisigen Spielertunnel in überschaubaren Grenzen, in erster Linie sprach eine trotzige Indifferenz aus den Spielern. „Egal“ sei ihm die Niederlage letztendlich, sagte Timo Hildebrand, und Andreas Hinkel wollte kategorisch ausschließen, dass das vierte nicht gewonnene Spiel in Folge irgendwelche Auswirkungen auf Form und Stimmung des Teams haben würde. „Was soll man da jetzt groß nachdenken? Natürlich wird der Erwartungsdruck größer, aber wir lassen uns keine Krise einreden. Das ist keine Krise.“ Hatte auch niemand suggeriert.

„Vorsicht, Schwindelgefühle: Nicht nach unten schauen!“, bleibt bis zur Winterpause das Motto der leicht ausgelaugten Himmelsstürmer, Zweifel werden tapfer beiseite gedrückt. „Andere Mannschaften in der Bundesliga wären froh, wenn sie in der Champions League weiter wären und in der Liga oben stehen würden“, schickte Hinkel einen Gruß nach Bayern. Es wird spannend: Mal hören, welcher Fanblock am Samstag die Ohren von Thomas Strunz als Erster zum Sausen bringt.

Manchester United: Carrol - Gary Neville, Ferdinand, Silvestre, O’Shea - Fletcher, Phil Neville, Scholes (79. Djemba-Djemba), Fortune - Giggs (71. Bellion) - van Nistelrooy (71. Forlan) VfB Stuttgart: Hildebrand - Hinkel, Meira, Wenzel, Lahm - Vranjes (46. Tiffert), Soldo - Hleb (76. Centurion), Heldt - Kuranyi, Szabics (46. Cacau) Zuschauer: 67.180; Tore: 1:0 van Nistelrooy (45./+2), 2:0 Giggs (58.)