Der Haug-Kreis und seine Fühler

LINKE GESCHICHTE Vor 50 Jahren gab Wolfgang Fritz Haug das erste „Argument“-Heft heraus. Eine kleine Chronik der Diskurslinien

Das Argument ist der eine Behauptung veranschaulichende Beweisgrund einer Sache. Das erste Argument-Heft erschien am 4. Mai 1959 und war ein erweitertes Flugblatt der FU-„Studentengruppe gegen Atomrüstung“, das der Philosophiestudent und spätere Professor Wolfgang Fritz Haug verantwortete.

Schon bald gab es einen „Argument-Club“ und mehrere Arbeitskreise, unter anderem zur „Kritik der Faschismustheorien“. Diese „Brüderhorde“ zersetzte dann die Soziologin Frigga durch Heirat von „Wolf“ Haug. Im Jahr 1962 gab sie das erste Argument-Heft zur „Emanzipation der Frau“ heraus. Dem folgte später eine eigenständige „Frauenredaktion“. Aus der „Marburger Schule“ der orthodoxen DKP-nahen Marxisten distanzierten sich daraufhin einige vom „Argument-Marxismus“, der sich laut W. F. Haug 1965 „geradezu auftrumpfend zu Wort gemeldet hatte – als ein „pluraler“.

Heute, nach 280 Argument-Heften und 300 Argument-Büchern, führt Frigga Haug zusammen mit ihrer Tochter Elsa Laudan den Verlag, zwischenzeitlich war sie Professorin in Hamburg – aber „seit 1965 ist das Argument mein Leben“, sagt sie. Ihr Mann konzentriert sich seit 1995 auf die Herausgabe des „Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus“ im „Institut für Kritische Theorie“, ebenfalls eine Argument-Gründung.

Bis zu ihrer 50. Ausgabe hieß die Zeitschrift Berliner Hefte für Probleme der Gesellschaft“, ab da Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften. Die Nähe zum Frankfurter Institut von Horkheimer und Adorno und ihrer Zeitschrift für Sozialforschung war gewollt. Das gilt auch für die spätere Gründung eines Hamburger Instituts – durch Jan Philip Reemtsma. Während dieses „Projekt“ aber mit Geld realisiert wurde, waren die Haugs auf das Soziale angewiesen, also auf eine sich ausbreitende Argument-Bewegung. „Es waren Dutzende, die zum in seiner Zusammensetzung wechselnden innersten Kreis gehört haben, und buchstäblich Tausende, die über die Jahre in der einen oder anderen Form mitgewirkt haben“, meint W. F. Haug.

Zunächst lehnte sich sein „A-Team“ an den SDS an, gleichzeitig lehnte es die Zusammenarbeit mit den Parteitheoretikern in der DDR nicht ab. Zum SDS gingen sie aber bald auf Distanz – indem sie seine Politik als „linkes Abenteurertum“ begriffen. Danach sprach Rudi Dutschke abfällig vom „SED-W-Haug“. Nichtsdestotrotz lehnte dieser die These in einem Streit mit dem SED-Philosophen Friedrich Tomberg vehement ab, dass ein marxistischer Intellektueller sich einer Parteilinie denkerisch unterordnen müsse.

Der Haug-Kreis streckte seine gedanklichen Fühler in alle Richtungen: Sexualität und Herrschaft, Probleme der Ästhetik, der Entwicklungsländer, des Städtebaus, Feminismus, Film, marxistische Erkenntnistheorie, Arbeiterbewegung und Streitfragen materialistischer Dialektik. Daneben gibt es noch Schriftenreihen zur Kritischen Medizin und Psychologie.

Wolf Haug habilitierte sich einst mit einer „Kritik der Warenästhetik“. Diese wurde gerade neuveröffentlicht. Und nach wie vor könnte man den KPI-Theoretiker Antonio Gramsci und den Exilschriftsteller Peter Weiss zu den Argument-Vorbildern zählen.

Zu Zeiten des Tunix-Kongresses, 1977/78, erlebte das Aufklärungsunternehmen einen herben Rückschlag – an Auflagenhöhe. Das linke gebildete Publikum wandte sich mehr und mehr den französischen Denkern zu.

Vollends nach dem „Mauerbruch“ war es vor allem die inzwischen nicht mehr autonome Frauenredaktion, die mit Autoren wie Judith Butler und Donna Haraway in den Diskussionskonjunkturen mittat.

Zum 50-jährigen Bestehen erschien nun ein Sonderband. In ihm geht es um die Frage, ob der „kritische Intellektuelle“ heute überhaupt noch eine Daseinsberechtigung habe. Bereits 1966 hatte sich ein Argument-Heft mit den „Theorien der Vergeblichkeit“ auseinandergesetzt.

HELMUT HÖGE