Eine veritable Peking-Oper

Günter Krämer präsentiert an der Kölner Oper den „Turandot“-Torso von Giacomo Puccini, dessen letzte Arbeit. Krämer stellt sie vor den Hintergrund der chinesischen Kulturrevolution und besetzt den Prinz Calaf mit einem ölenden, wohlbeleibten Tenor

Günter Krämer versteht es, große Kaliber prägnant einzusetzen

VON FRIEDER REININGHAUS

Die Infanteristen der Armee-Tanzgruppe reißen die Beine in die Waagerechte, recken die Gewehre den Sternen entgegen und schicken sich an, mit taktischem Geschick den Tigerberg zu erobern. Überlebensgroß springt eine stark nachgerötete Reproduktion des berühmtesten Fotos der von Mao Tse-tungs letzter Gattin propagandistisch eingespannten Peking-Oper die Besucher an, während es aus dem Graben zu dampfen beginnt.

In der letzten Arbeit von Giacomo Puccini (1858-1924) mischen sich Tragödie und Komödie, Märchen und exotischer Realismus. Günter Krämer inszeniert dies an der Kölner Oper vor der Folie der chinesischen Kulturrevolution. Doch der strenge Hintergrund wird von Anzeichen eines neu-kapitalistischen Alltags abgelöst. Mit ruhiger Hand deuten Regie und Bühne zunächst Mangelgesellschaft und staatlichen Terror im „Reich der Mitte“ an: Auf einer Stadion-Tribüne imponiert der strikt blau uniformierte Chor mit oratorischer Wucht. Er wartet auf die Hinrichtung des Prinzen von Persien, der an den Rätseln auf dem Weg zur Hand der Prinzessin Turandot und zur großen Macht scheiterte – alle, die da versagen, mussten und müssen sterben. Aus archetypischer Angst und weil ihre Vorfahrin Lou-Ling vergewaltigt wurde, will sich die Reichserbin keinem Mann hingeben, es sei denn, dieser zeichne sich durch höchste Klugheit aus. So der Kern der fiaba chinese von Carlo Gozzi, die Puccinis Librettisten nach Friedrich Schillers Turandot-Bearbeitung arrangierten.

Der gescheiterte Fremde wird von Krämer zum Affen gemacht: Er steckt in einem Orang-Utan-Kostüm. Die anonyme Masse demütigt den Perser. Der stumme Henker liquidiert ihn, nachdem er das bleiche Mondgesicht auf der Tribüne küssen durfte, mit einem Genickschuss. Die drei Spitzenbeamten Ping, Pang und Pong stammen sichtlich noch aus der Nomenklatura, träumen jetzt jedoch im aufblasbaren Planschbecken von einem Südseeurlaub. Aber das Lachen über die Chinoiserie bleibt im Halse stecken wie die Mao-Bibeln in den Mäulern der Höflinge.

Das Verhältnis Eros-Thanatos bestimmt den Fortgang des Werks, dessen von optimistischer Liebe und Erfüllung genährten Schluss der Komponist nicht fertigstellen konnte. Der Tod holte den Erotomanen Puccini ein und die Kölner Produktion verzichtet aus guten Gründen auf das von Luciano Berio nachkomponierte Finale. Krämer zeigt die Geister der hingerichteten Bewerber als Körper auf dem Seziertisch und spielt damit auf den Anspruch des Komponisten an, der mit dieser Oper „Vivisektion der Seele“ betreiben wollte.

Der „große Zeltpavillon im kaiserlichen Palast, geschmückt mit symbolischen und phantastischen chinesischen Figuren“ wird als ein von polit-rotem Zeltstoff umgebener Raum vorgeführt, in dessen Mitte Turandot das breite Bett zerwühlt. Während ihre Ahnin Lou-Ling als Kleiderständer für die altkaiserlichen Prunkgewänder fungiert, erscheint sie als modernes Luxusgeschöpf, das sich mit Whiskey-Glas in der Hand, ordinären Gesten und Klamotten vom Quelle-Versand „proletarisch“ gibt – Nina Warren als kalte Schöne mit beredter Körpersprache und kühler Schärfe in den höheren Gesangspartien.

Und der fremde Prinz Calaf? Wo, wenn nicht im Bett, in dem weiter nichts sein darf, muss er, ins Affenkostüm geschlüpft, die schwierige Befragung über sich ergehen lassen. Da Sidwell Hartman nicht eben dem Medien-Idealbild eines Wunschprinzen entspricht, sondern ein ziemlich ölender, wohlbeleibter Operntenor ist, sieht man ihn mit Charme und List zu Werke gehen: Er will trotz der größten Vorbehalte geliebt werden. Daher riskiert er sein Leben, indem er der im Ratespiel besiegten Turandot einen Aufschub gewährt, während dessen sie seinen Namen herausfinden könnte. Doch selbst Folter hilft ihr nicht. Liù, die Reisebegleiterin von Calafs Vater Altoum und insgeheim verliebt in den Prinzen, bewahrt das Geheimnis bis zu ihrem Liebesfoltertod. Obwohl Nina Warren und Hartman manchen Wunsch der Belcanto-Freunde unerfüllt lassen, gelingt Jun Märkl mit dem Gürzenich-Orchester eine insgesamt packende Produktion. Günter Krämer aber hat mit seiner stringenten Übertragung noch einmal unter Beweis gestellt, welche großen Kaliber der Opernregie er prägnant einzusetzen versteht.

2., 5., 10., 12., 15., 19. DezemberKarten: 0221-22128400