Von Sehenden oft übersehen

Dominique (26) und Pierre (24) studieren Psychologie. Doch im Uni-Alltag haben es die beiden nicht leicht. Denn sie sind blind. An der Kölner Hochschule bekommen sie nur wenig spezielle Hilfe

von Christian Wiermer

Jura, das wollte Dominique machen. Da war sie sich sicher. Dominique ist blind, von Geburt an. Sie kam als Frühkind zur Welt, im Brutkasten war zu wenig Sauerstoff. Vor sieben Jahren machte sie Abitur, an einer Schule, wo fast nur Sehende lernen. Und nicht an einer reinen Blindenschule. „Diese Selbstständigkeit wollte ich nicht aufgeben“, sagt die junge Frau. Sie nahm mit verschiedenen Unis Kontakt auf. Sie fragte nach: Was macht Ihr für Blinde? Sie wusste: in Dortmund oder in Marburg, da wird viel gemacht. „Aber Köln schien mir am offensten“, sagt Dominique. Im Wintersemester 1998/1999 schrieb sie sich für Jura ein. Im Wintersemester 2000/2001 gab sie die Juristerei wieder auf. Nun studiert sie Psychologie.

„Ich mag Jura – immer noch. Doch damals fühlte ich mich allein gelassen“, sagt Dominique, „von den Kommilitonen und von den Professoren.“ Die 26-Jährige will ihr eigenes Leben leben. Hilfe ersucht sie nur da, wo es unbedingt sein muss. „Aber es ist nun mal so. Manchmal muss ich sagen: Hey, ich brauche das jetzt.“ Zum Beispiel wenn es um Vorlesungsmaterialien geht, die sie in digitaler Form benötigt, für den blindengerechten Computer in ihrem Appartment im Sülzer Uni-Center. Oder wenn sie eine Klausur in einem gesonderten Raum schreiben muss, um die Aufgabe mit technischen Hilfsmitteln zu lesen und zu lösen und dafür auch mehr Zeit braucht. Oder wenn sie Studienliteratur in Braille-Schrift, der Blindenschrift, braucht.

Die nötige Unterstützung bekam Dominique bei den Juristen nur selten. Und dann war da noch die Sache mit den Händen. Sie hat Finger, die so dünn sind wie Kugelschreiber. Sie hat weiche Bänder, eine verkürzte Elle und im Handgelenk bilden sich regelmäßig Zysten. „Ich habe schwache Hände“, sagt Dominique. Zu schwach für das schreibintensive Jura-Studium.

Dominique ist eine von drei Kölner Studierenden, die als vollblind bekannt sind. „Vielleicht gibt es noch mehr“, kann auch Sylvia Wanitzke nur mutmaßen. Sie ist Leiterin der Zivildienststelle an der Uni. Ihre Zivis holen Dominique von der Wohnung zur Vorlesung ab. Oder aber sie vertonen für sie Bücher auf Kassette. Oder sie helfen beim Tragen der Tabletts in der Mensa.

Pierre ist 24 Jahre alt, studiert Psychologie im fünften Semester. Als er 13 war, machte ihn ein erhöhter Augeninnendruck blind. Heute lebt er in einem Lindenthaler Studentenwohnheim auf 24 Quadratmetern. Zum Gespräch kommt er alleine. Er irrt sich in der Tür. Aber dann schafft er es. Ohne Hilfe. „Ich mache fast alles alleine“, sagt er und dreht sich eine Zigarette. Manchmal, findet Sylvia Wanitzke, könnte Pierre aber schon nach Hilfe fragen. Pierre nimmt einen letzten Zug von der Zigarette und stopft sie in den Aschenbecher. Er hat Hunger. Faris, einer der Zivis, begleitet ihn in die Mensa. „Das geht schneller“, sagt jetzt auch Pierre. Die beiden überqueren den Albertus-Magnus-Platz. Hier ist eine Menge los. „Das ist eine Katastrophe“, sagt Pierre. Wenn Zivi Faris nicht dabei wäre, würde ständig eine Kollision mit Radfahrern drohen.

Seit Jahren kämpft Sylvia Wanitzke dafür, auf dem Platz ein Blindenleitsystem am Boden einzurichten. Immer hieß es: Dafür ist kein Geld da. Bald soll es aber klappen. „Das wäre wichtig“, sagt Wanitzke. Doch dann sind da noch fehlende Blindenampeln im Uni-Viertel, viel zu wenig Literatur in Braille-Schrift und eine Hilfsmittelstelle mit Computer-Arbeitsplätzen für Sehbehinderte, die zwar immerhin da ist, aber viel zu dürftig und zu muffig sei. „Eigentlich ist das peinlich“, findet Wanitzke.

Erst im letzten Semester hätten wieder zwei Blinde ihr Studium geschmissen, berichtet die Zivi-Chefin. Dominique will sich davon nicht beeinflussen lassen. Sie geht weiter zu den Vorlesungen in Psychologie. „Hier fragen die Professoren schon auf dem Flur: Kann ich helfen? Brauchst Du was?“, sagt sie. „Jura ist halt eine konservative Fakultät, Psychologie ist da anders“, sagt Wanitzke. Dominique ist jetzt im neunten Semester. Im nächsten Winter will sie ihr Diplom machen.