Zerfransende Horizontale

Mit „Schwontkowski Kino“ ermöglicht die Bremer Kunsthalle einen Rundgang durch die sympathisch-eigenwillige Bilder-Poetik des Künstlers. Mit im Spiel: hilfreiche „unbekannte Kräfte“

Aus den Skizzenbüchern: Ein Kopf liegt auf einen Arm, müde, nachdenklich. Der Arm liegt auf einem Tisch. Gezeichnet mit wenigen Strichen auf nur wenige weiße Quadratzentimeter. Drunter steht: „traditional thinking“. Der traditionell Denkende (oder traditionell gedachte oder über Traditionelles Nachdenkende) wirkt wie ein Selbst-Kommentar.

Der 1946 in Blumenthal geborene Maler Norbert Schwontkowski spricht nicht gern über seine Arbeiten, erklärt sie vor allem nicht gern. Weil „mir unbekannte Kräfte“ schon mal „an einem Bild weiterarbeiten“, überlässt er es ihnen auch, sich zu erklären – oder zu verrätseln. Nicht etwa esoterisch gemeint; eher ein Bild für Formate, Materialien, Sujets und Themen, die von sich aus ja auch immer etwas zu einer Arbeit beisteuern. Die Geschichte von Farbauf- und abtrag erzählen viele der Arbeiten mit. Ihre Materialität wird nicht kaschiert, im Gegenteil. Durch sie erzielen Schwontkowskis Räume ihre surreal anmutende Größe. Durch sie entstehen Bewegung und Perspektive sowie der oft nebelige Gestus. Nicht zuletzt die zahlreichen Lampen – mondgleiche Straßenbeleuchtung „an der Promenade“ oder die Kerze, die neben der stromlosen Nachttischlampe „baltisches Licht“ spendet – machen Licht und Dunkelheit (und vor allem, was dazwischen liegt) zum zentralen Thema seiner Bilder.

Gerade hier ist Schwontkowski romantischer Geschichtenerzähler. Wobei seine Natur vor Fahrrädern, Gebäuden und Einkaufswagen nicht Halt macht. Gegenstände, Linien, Fluchtpunkte ragen oft aus dem Geviert heraus. „Am Fenster“ von 1998 etwa zeigt einen hellen Raum. An der gegenüberliegenden Wand ein Fenster, ein runder Spiegel, ein Bild. Dies Bild im Bild ist dunkel und wie um die Balance des gesamten Bildes zu gewährleisten, hängt es aus diesem heraus. Vor dem Fenster steht ein Mädchen, es muss sich recken, mit den Händen am Sims emporziehen, um nach draußen zu sehen. Dieses Draußen, das des Mädchens Neugier (oder seine Melancholie) weckt, ist für uns nur gleißend, verschwimmt zusehends mit der Wand, die das Fenster umrahmt. „Am Fenster“ bildet einen Raum nicht ab, es schafft ihn. Als Farb-Ort. Als ein begrenzt-unbegrenztes Etwas, das die Möglichkeit von Geschichten festhalten kann – aber nicht die Geschichten selbst.

Vielleicht ist es die Spannung von Bild und Poesie, die der Ausstellung den Kino-Titel gab. Dieser funktioniert auf Umwegen. Denn weniger Kino hält diese Arbeiten zusammen als das Suchen und Entstehen-Lassen von Bildern, die Geschichten bergen. Hinten herum stehen Schwontkowskis Arbeiten nicht weit vom essayistischen Film, der in langen Einstellungen den Betrachtenden Zeit lässt, die Bilder erst zu entwickeln.

Wie die wie höhnisch sanft, aber deutlich geschwungene „Belgische Autobahn“ von 2000. Hell beleuchtet und weitgehend autolos schlängelt sie sich durch eine Landschaft, deren fest gestrichener, an einigen Stellen geschabter und gekratzter schmuddelgrüner Grund reine Malerei ist. Und sich in der oberen Bildmitte mit dem grellgelben Himmel verbündet, gemeinsam die Horizontale zu zerfransen.

Tim Schomacker

Bis 6. Februar in der Kunsthalle