Lichte Flecken am Ende der Laufbahn

Der Maler Winand Victor hat sich schon immer gerne der Mal-Mode verweigert. Die Galerie Reinfeld zeigt zur Zeit neue Bilder des 85-Jährigen

Auf gelbem Grund sind flüchtige rote Striche aufgetragen. Die Strukturen haben eine starke Dynamik – erinnern an ein tanzendes Pärchen oder einen blutigen Wasserfall. Im Hintergrund bildet eine weiße Fläche eine mysteriöse Lichtquelle. Das bemalte Papier ist zerknittert und wölbt sich dem Betrachter entgegen.

Das Bild hängt zur Zeit in der Galerie Reinfeld. In der Ausstellung „Winand Victor – Aquarelle“ werden vor allem neuere Werke des Reutlinger Malers gezeigt. Bekannt geworden ist der Künstler durch sein graphisches Werk in den 60er und 70er Jahren. Dessen fragmentierte Gegenständlichkeit wurde dann von neo-expressionistischen Motiven abgelöst. Seine neuen, abstrakten Bilder sind mit beidem schwer in Einklang zu bringen.

Es erfordert Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen. Der 85-Jährige stellt ihn einmal mehr unter Beweis. In seinem Leben hat er mehrmals zwischen gegenständlicher und gegenstandsloser Kunst gewechselt. Stets scheint er das gewählt zu haben, was zu einer bestimmten Zeit weniger en vogue war. Dabei folgt seine Kunst einer eigenen Logik: Victor hat ein sensibles Gespür für seine Umwelt, ist immer auch ein politischer Mensch gewesen. Als sich die Kunst im Nachkriegsdeutschland der Dominanz der Konkreten Malerei beugte, formulierte Victor seine Erlebnisse als Kritik an Kriegswahn – und schuf symbolische Figuren wie Harlekine oder verstümmelte Spielmänner.

Das Thema führt bei ihm zur Form: In den 70er Jahren fing er die unbeherrschbaren Gebilde von zehn Weltstädten als stilisierte Grundrisse in Farbradierungen ein: Abstrakt und dennoch wiedererkennbar.

Galerist Udo Reinfeld hatte vor drei Jahren in einer Rückschau ältere Werke Victors präsentiert. „Damals hatte ich vor, ihn in Bremen bekannt zu machen“, erklärt er. Die jetzige Ausstellung habe ein anderes Ziel. „Die gewählten Aquarelle stammen zum Großteil aus der aktuellen Schaffensperiode. Sie dokumentieren den ‚Ist-Zustand‘.“

In den neuen, abstrakten Bildern des Künstlers dominieren runde Farbflächen in Blau und Grüntönen. Sie wecken Naturassoziationen. Auffällig sind die hellen Flecken im Hintergrund. „Man spricht ja auch vom Licht am Ende des Tunnels“, äußert Reinfeld eine vorsichtige Vermutung. „Vielleicht beschäftigt sich Victor hier mit der eigenen Vergänglichkeit.“

Tim Ackermann

„Winand Victor – Aquarelle“: noch bis 24. Dezember, Mo, Mi, Fr. 12-18 Uhr, Sa 11-17 Uhr, Galerie Reinfeld