Das virtuelle Streikrückgrat

Im Keller des FU-Asta betreuen rund 20 Studierende eine Internetseite für den Unistreik. Die gewährleistet den Überblick über die Aktionen in der ganzen Stadt

„Wir kriegen hier 300 Mails pro Tag rein und 10 bis 20 Anrufe pro Stunde“

„Kreatives Chaos“, hatte Lars im Vorgespräch gesagt, „finde ich super.“ Man versteht sofort, dass er sich in der Streikzentrale der FU wohl fühlt. Wüst sieht’s hier aus, überall liegen Flyer herum, Leute wuseln von einem Raum in den anderen, ein paar abgewetzte Sofas versuchen so was wie Gemütlichkeit zu vermitteln. Spartanisch könnte man die Einrichtung im Keller der Asta-Villa nennen oder einfach: funktional. Lars betreut mit etwa 20 Kommilitonen eine der großen Homepages des Studentenstreiks. Unter www.streikzentrale.de.vu laufen die Protestinfos zusammen.

Gerade sind Schüler eines Dahlemer Gymnasiums reingekommen und wollen ihr Anliegen loswerden. Einen Aktionstag planen sie und suchen noch studentische Referenten dafür. Problem: Das Ganze ist schon morgen und soll außerdem um acht Uhr beginnen. Es sieht aber gar nicht so schlecht aus, ein paar Leute sind schon gefunden. In der Streikzentrale geht es zu wie im sprichwörtlichen Bienenstock. Zwei bis drei Studenten nehmen hier in Zwei-Stunden-Schichten Anrufe entgegen, setzen neue Termine auf die Homepage und informieren Kommilitonen über bevorstehende Aktionen. „Wir kriegen hier 300 Mails pro Tag rein und 10 bis 20 Anrufe pro Stunde“, sagt Lars und sieht ein bisschen stolz dabei aus. „In Spitzenzeiten waren es sogar 100 pro Stunde“, ergänzt sein Kollege Timo. Der Islamwissenschaftler kommt seit drei Wochen jeden Tag ins Büro, das „Rückgrat der Zentrale“, wie Lars meint. Alle eingegangenen Termine werden ins Internet gestellt – hier wird nicht ausgewählt, nur stark gekürzt.

So reibungslos es mittlerweile läuft, so schwer war der Anfang. Direkt nach der ersten Vollversammlung der FU gründete sich das Koordinierungskollektiv, weil, wie Lars es ausdrückt, „in die Richtung noch zu wenig lief“. Am selben Abend ließen er und seine Mitstreiter die Domain registrieren, noch in der Nacht bastelte er eine erste Version der Seite. Nach fünf Tagen wurde sie durch ein professionelleres Modell ersetzt. „Es gab ein großzügiges Hilfsangebot der Informatiker, das wir natürlich gerne angenommen haben“, erzählt Lars. „Ich kann ja nur HTML.“

Durch den Einsatz der Kommilitonen vom Fach wurde die Arbeit viel effizienter, alle Daten konnten nun auf einem Server gespeichert werden. Ein weiterer Vorteil: Jetzt war es allen Mitarbeitern möglich, Texte direkt in die Seite einzutragen, und nicht nur ein paar Eingeweihten. Lars, Timo und die anderen von der Streikzentrale sind richtig begeistert vom Einsatz der Informatiker: „Die sind rund um die Uhr für uns da, wenn’s mal Probleme gibt.“ Dass die es geschafft hätten, in zwei Tagen eine komplette Homepage zu erstellen, sei schon fast ein Diplom wert, meint Timo.

Schichtwechsel. Beate Richter übergibt an Malte Büchs: „Das Streikplenum findet jetzt nur noch zweimal pro Woche statt und die Wirtschaftswissenschaftler wollen wissen, ob wir ihren Vorlesungsmarathon übernehmen können.“ Heiteres Gelächter. Denn hier wird nur verkündet, was andere bereits organisiert haben. Zwischenfrage: „Hat jemand Ahnung von Papierstau?“ Der Kopierer ist fast ununterbrochen in Betrieb. Kein Wunder, dass auch er mal streikt.

Zwei Geräte sind für die Leute hier von zentraler Bedeutung: das beigefarbene Uralt-Telefon und der knallrote Kühlschrank. Leider ist der mal wieder gähnend leer. Timo wählt die Notlösung und drückt Tubensenf auf ein trockenes Stück Schwarzbrot.

Trotz aller Mühsal – alle sind hoch motiviert, denn sie haben „eine Riesenwut“. Und so werden sie weitermachen, solange es nötig ist. 44.000 Seitenzugriffe pro Tag sind schließlich was. Und die Anerkennung der Kommilitonen natürlich auch. „Jede zweite Mail fängt mit einem dicken Lob an“, freut sich Lars. Er hat keine Angst, dass der Informationsfluss abebben könnte, denn: „Was hier an Kommunikation läuft, ist Wahnsinn.“ TORBEN TRUPKE