Gleißendes Friedensleuchten

Osnabrück will „Kulturhauptstadt Europas 2010“ werden – Die Wahrheit ist dabei

Die zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge gebettete, mit schmucken Asphaltbändern umgürtete niedersächsische Gemarkung Osnabrück bewirbt sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ und löckt damit wider die Landesregierung, deren Wohlwollen allein auf Braunschweig ruht. Die Wahrheit wird Osnabrück auf dem langen Weg durch die Institutionen publizistisch begleiten und nach bestem Vermögen unterstützen.

Jauchzen und Grölen erscholl in den schmalen Gassen der historischen Altstadt, vom Dome her dröhnten wie trunken die Glocken, wildfremde Menschen sanken einander schwitzend in die Arme – in einem stadtbekannten Etablissement an der Eisenbahnstraße jedenfalls. Denn siehe, große Freude kam über Osnabrück, als der an großen Leistungen nicht armen Chronik der Stadt jüngst ein weiterer Trumpf und auch Triumph hinzugefügt werden konnte. Im niedersächsischem Städtewettbewerb „Ab in die Mitte – Die City Offensive“ konnte sich Osnabrück unter 53 Kommunen behaupten und streicht nun Landesfördermittel in Höhe von 50.000 Euro ein, um das Wettbewerbskonzept „Meilensteine“ im nächsten Jahr machtvoll anrollen lassen zu können.

Bevor am 4. Dezember 2003 in der Osnabrücker Stadthalle die insgesamt 14 Preisträger feierlich verkündet wurden, war in der Bevölkerung zunächst noch Sorge zu spüren gewesen. Der viel zitierte Generalanzeiger ON am Mittwoch nämlich hatte in der Woche zuvor den Wettbewerb mit der schlagenden Dachzeile „Osnabrück startet mit ,Meilensteinen‘ beim Wettbewerb ,Ab durch die Mitte‘“ auf die Titelseite gehoben. Nun wurden Bedenken laut, dass das örtliche Stadtmarketing das Wettbewerbsmotto wohl ähnlich falsch verstanden haben könnte. Aber ganz egal, ob nun durch die, aus der oder in der Mitte – letztlich waren nicht die Präpositionen, sondern die Ideen ausschlaggebend. Und die, zu einem säuberlichen Portfolio gebündelt, überzeugten denn auch die unter fadenscheinigen Vorwänden gen Braunschweig tendierende Landesregierung in Hannover.

Der Wettbewerbsvorgabe wortgetreu folgend, wird im kommenden Jahr „das individuelle und unverwechselbare Profil“ der Stadt nachhaltig aufgebauscht werden. Zu den geplanten und prämierten Aktionen gehört ein Markt am größtenteils betongefassten Ufer des die Stadt teilenden Flüsschens Hase. Ein gleißendes „Friedensleuchten“ soll dem Frieden zeigen, wo es lang geht, wenn er anlässlich des „Moonlight-Shoppings“ der Krämer Seelen beglückt. Nicht zu vergessen, wie die lokale Neue Osnabrücker Zeitung unter ortstypischer Vereinfachung der deutschen Grammatik zu berichten wusste: „Auch das Dampflokfestival am 5. September zählt mittlerweile als Publikumsmagnet zum Aushängeschild der Stadt.“

In der Stadt der sieben Hügel – Westerberg, Piesberg, Haster Berg, Gertrudenberg, Schinkelberg, Berningshöhe, Kalkhügel lauten ihre Namen – dampft und lockt es mittlerweile an allen Ecken und Enden, und wie wohl so manches Gesicht in Braunschweig, wird auch das Aushängeschild immer länger. Schierer Optimismus durchwogt die von singenden Eingeborenen bevölkerten Straßenfluchten, stolz und unbezwinglich ficht Osnabrück um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2010“.

CASPAR WIEDENBROCK