Jetzt kommt die EU-Armee

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Nato-Stacheldraht und hohe Mauern sichern das weitläufige Gelände in Butmir, einem Vorort Sarajevos. Hier befindet sich das Hauptquartier der von der Nato befehligten SFOR, der Stabilisation Force, die Ende 1995 nach einem vierjährigen Krieg nach Bosnien und Herzegowina kam, um die Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton zu sichern.

An dem geschäftigen Treiben am Haupteingang wird auch der heutige Tag nichts ändern. Doch wenn die Soldaten stramm gestanden und die Reden verklungen sind, wird die Zentrale nicht länger unter dem Befehl der Nato, sondern dem der Europäischen Union stehen. Aus SFOR wird Eufor. Mit der Operation „Althea“, mit 7.000 Mann aus 30 Ländern, zeigt Europa von nun an auf dem Balkan Flagge.

Die European Force, die „Eufor“, ist nach dem EU-Engagement in Mazedonien und im Kongo die erste wirklich beachtliche gemeinsame Truppe der Europäischen Union. In dem südlichen Balkanland waren 2003 nur 300 EU-Soldaten im Einsatz, im Kongo waren es im Sommer des gleichen Jahres dann zwar schon 1.850, doch die kamen überwiegend aus Frankreich.

Die Nato hatte auf ihrem Gipfel Ende Juni in Istanbul die Übergabe der SFOR-Friedensmission an die EU beschlossen. Und kam damit den Europäern entgegen, die schon 1999 den Aufbau einer EU-Einsatztruppe beschlossen hatten. Die EU sollte die Mittel und die Bereitschaft haben, unabhängig von der Nato mit 60.000 Mann auf internationale Krisensituationen zu reagieren – hieß es damals. Dieses Ziel wurde zwar bisher nicht erreicht, doch mit der EU-Militärmission in Bosnien wird ein weiterer Schritt in diese Richtung vollzogen.

Deutschland stellt mit 1.100 Mann weiterhin das größte Kontingent in Bosnien und Herzegowina. Mit der EU-Armee ist es zudem möglich, Mitglieder der EU, die nicht in der Nato sind, an verantwortlicher Stelle auf dem Balkan einzusetzen. Das neutrale Österreich wird an der künftigen EU-Militärmission in Bosnien und Herzegowina stärker als bei anderen Auslandseinsätzen beteiligt. Insgesamt 300 Mann werden zusammen mit einem finnischen Kontingent in Tuzla stationiert und lösen die US-Amerikaner dort ab. Mit Einheiten aus der Türkei, Kanada, der Schweiz und anderen dienen ab jetzt sogar Nicht-EU-Mitglieder unter EU-Befehl.

Schon einmal wollte Europa die Verantwortung auf dem Balkan übernehmen. Beim Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien im Sommer 1991 versuchten sich die Abgesandten aus Brüssel als Schlichter des Konfliktes. Noch heute erinnern sich die Bewohner Sarajevos an die unrühmliche Rolle der Europäer, als die mehr als 350.000 Einwohner 1992 von serbischen Truppen eingeschlossen und dann über drei Jahre belagert wurden. Die EU hatte damals nicht die Macht und auch nicht den Willen, dem Morden in Bosnien ein Ende zu setzen. Erst als die USA unter Bill Clinton sich auf dem Balkan zu engagieren begannen, wendete sich das Blatt. Mit militärischen Drohungen und dem Einsatz von Nato-Truppen wurde 1995 schließlich der Friedensvertrag von Dayton erzwungen. Die Stadt war wieder frei und die Bevölkerung jubelte den einmarschierenden US-Soldaten zu.

Muslime für US-Truppen

Das tiefe Misstrauen den Europäern gegenüber ist zwar heute in Bosnien und Herzegowina weitgehend verschwunden. Das Europa von heute lässt sich nicht mehr mit jenem von damals vergleichen. Die Bürger Bosniens wollen, das ihr Land irgendwann selbst einmal Mitglied der EU wird. Und dennoch begrüßen sie es, dass die Amerikaner weiter im Lande bleiben. So ergab sich in den letzten Monaten die angesichts des Irakkrieges paradoxe Situation, dass vor allem die muslimische Bevölkerung in Bosnien die weitere Anwesenheit der US-Truppen forderte. Und auch durchsetzte.

Neben den Eufor-Truppen werden US-Soldaten als Vertreter der Nato weiter im Hauptquartier von Butmir sitzen und auch, ihren Stützpunkt in Nordbosnien, in Tuzla, behalten. Es sind zwar nur mehr 300 statt der zuletzt 1.000 Mann, doch die Amerikaner werden weiterhin in der Lage sein, militärisch wie auch politisch Einfluss zu nehmen. Sie werden mit ihren Geheimdiensten den auch für die Eufor notwendigen Informationsfluss beherrschen, weiterhin bei der Suche nach Kriegsverbrechern mitmischen und ausschlaggebend bei der Armeereform der bosnischen Streitkräfte sein.

Diese Reform, bei der die Armeen der bosnischen Muslime, Kroaten und Serben zu einer einzigen Armee verschmolzen werden sollen, ist eines der wichtigsten politischen Projekte des Landes. Es soll die Voraussetzung dafür schaffen, dass Bosnien und Herzegowina zuerst in das Nato-Projekt „Partnerschaft für den Frieden“ und schließlich als Vollmitglied in das Bündnis aufgenommen wird.

Dass der amerikanische Einfluss stark bleiben wird, darüber sind EU-Diplomaten und Militärs nicht gerade glücklich. Zwar sollen sich der Oberkommandierende der Eufor, der britische Zwei-Sterne-General David Leakey, und der US-Oberkommandierende Steven Shook ganz gut verstehen – doch Misstrauen bleibt. Denn bereits in den SFOR-Truppen kam es zu Rivalitäten zwischen den Verbündeten. In den letzten Monaten sollen sich – diplomatischen Kreisen zufolge – Amerikaner geweigert haben, bei der Suche nach den Kriegsverbrechern mit den Europäern zu kooperieren. Diese hatten den Eindruck, Informationen würden an die weiterhin gesuchten Hauptverantwortlichen für die Kriegsverbrechen, Radovan Karadžić und Ratko Mladić, weitergegeben.

Hinzu kamen die Spannungen aus dem Irakkrieg. Und letztlich die Vermutung der Europäer, die Amerikaner wollten sich auf dem Balkan festsetzen, um die EU in ihre Schranken zu weisen. Dafür spreche der Ausbau von US-Militärbasen in Ungarn und im Kosovo. Und auch in Rumänien und Bulgarien würden Stützpunkte angestrebt. Die Wahl, einen britischen General in Bosnien zum Oberkommandierenden zu machen, habe mit diesen Spannungen zu tun, so die europäischen Diplomatenkreise. Denn die Briten könnten sich am besten mit den Amerikanern arrangieren.

Offiziell leugnen Diplomaten und Militärs jeglichen Konflikt. Nach ihren Worten geht alles seinen geordneten Gang. Eufor und Nato arbeiteten eng zusammen, betont denn auch General Leakey. In der Tat ist das Nato-Kommando Europa Süd, das von den USA befehligt wird, weiterhin für den Balkan zuständig. Die Eufor und die Nato sind über Liaison-Offiziere miteinander verbunden. Die Eufor wird vom belgischen Mons aus befehligt, wo auch die Nato ihr Hauptquartier hat. Nach den „Berlin plus“-Vereinbarungen stellt die Nato der Euro-Armee ihre Struktur zur Verfügung, Doppelungen sollen so vermieden werden. In Bosnien bedeutete dies auch, dass jederzeit Nato-Truppen die Eufor verstärken könnten.

Für ein einheitliches Bosnien

Dennoch stärkt die EU mit dem Aufbau von Eufor ihre Position auch gegenüber den Amerikanern. Schon jetzt ist das Büro des Hohen Repräsentanten der UNO wesentlich in der Hand der Europäer. Mit der EU-Polizeimission und der Eufor verfügt die Union über gleich zwei Truppen und kann so Entscheidungswege und Einsätze besser koordinieren. Die Europäer werden sich auf den Aufbau der bosnischen Polizei und des neuen zentralen Kriminalamts konzentrieren. Hauptaufgabe der EU-Truppen wird es also sein, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen und den Staat Bosnien und Herzegowina zu reformieren.

Wenn das Land in die EU eintreten will, muss es die innere Teilung in die so genannten Entitäten – die bosniakisch-kroatische Föderation und die serbische Teilrepublik – überwinden. Daran wird nun offenbar ernsthaft gearbeitet. Die örtliche Polizei wird nach Regionen neu strukturiert, nicht nach den ethnischen Grenzen, die der Krieg hinterlassen hat. Das Dayton-Abkommen könnte so nach und nach obsolet werden.

Haupthindernis auf dem Weg zu einem einheitlichen Staat sind aber weiterhin die untergetauchten Kriegsverbrecher. Die EU verkündet nun wie die Nato, sie würden alles daran setzen, Karadžić und Mladić festzunehmen. In Wirklichkeit strebt sie aber an, die serbische Teilrepublik zu verpflichten, hier endlich aktiv zu werden. Die Serben sollen sich endlich entscheiden: für die Vergangenheit Karadžić oder die Zukunft Europa.