Tod eines Linksradikalen

Am Montagmorgen um halb sechs rückten in Istanbul die Spezialeinheiten der Polizei an und umstellten im Stadtteil Bostanci ein Wohnhaus. Nach sechs Stunden Schießerei gab es drei Tote: ein Einsatzleiter in Uniform, ein 15-jähriger Passant und der gesuchte Linksextremist Orhan Yilmazkaya, laut Polizei Kopf der Gruppe Revolutionäres Hauptquartier. Yilmazkaya schoss so lange zurück, bis ihm die Munition ausging.

Yilmazkaya wurde vor 39 Jahren in Deutschland geboren. Seine Eltern schickten ihn in den 1980ern nach Istanbul zurück. Hier besuchte er ein Jungeninternat und studierte Politologie. Er trat der Partei für Sozialistische Herrschaft bei. Nach dem Studium arbeitete er lange als Journalist und Lektor, verfasste Literaturkritiken, betrieb Gewerkschaftsarbeit und schrieb ein touristisches Buch über türkische Bäder. Er leitete auch ein linkes Radioprojekt, das wegen der Verlesung eines PKK-Flugblatts verboten wurde.

Trotz Nachrichtenverbot kursieren Gerüchte, dass seine bewaffnete linke Gruppe durch die extrem rechte nationalistische Organisation Ergenekon manipuliert worden sei. Regierungsnahe Medien schrieben, dass Yilmazkaya Verbindungen zu dem Exoffizier Muzaffer Tekin, einem wichtigen Mann der Ergenekon, hatte und hinter zwei Anschlägen in Istanbul steckte, unter anderem gegen Erdogans Regierungspartei AKP.

Im Nebel der Wörter und Waffen überleben Yilmazkayas überzeugte linke Parolen, die er, eingeloggt im Polizeifunk, ausrief: „Es lebe die Freundschaft der Völker, seit Thomas Müntzer und Scheich Bedreddin!“ Bedreddin war ein anatolischer Volksführer im 15. Jahrhundert und vertrat mystisch begründete, frühkommunistische Ideen. Lange rätselte die Istanbuler Boulevardpresse, wer Thomas Müntzer war. DILEK ZAPTCIOGLU