NIEDERLAGE FÜRS STATUS-QUO-DENKEN: SPARKASSEN MÜSSEN NICHT SEIN
: Pioniergewinne an der Ostsee

Experimentierlabor Ostdeutschland – mit der Entscheidung des Stadtparlaments von Stralsund, die örtliche Sparkasse zu privatisieren, wird diese Hoffnung aus dem Jahr 1990 vielleicht einmal mit positivem Ende eingelöst. Das Status-quo-Denken hat zu Recht eine Niederlage erlitten; eine Sparkasse kann, muss aber nicht sein.

Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten ist aber ausgerechnet das Argument der Privatbanken am unglaubwürdigsten, der Staat habe im Finanzwesen nichts zu suchen. Niemandem, auch nicht der öffentlichen Hand mit ihrem enormen Kapitalumschlag, ist das Recht auf eigene Bankgeschäfte abzusprechen. Ihre Strukturvorteile haben sie zu Recht verloren: Die Finanzkonzerne selbst haben in Brüssel dafür gesorgt, dass die Landesbanken und Sparkassen im Krisenfall nicht mehr einfach mit den unbegrenzten Steuergeldern ihrer Trägerinstitutionen gerettet werden können.

Und dennoch wird möglicherweise in Stralsund nicht alles optimal laufen. Unter Wettbewerbsgesichtspunkten am sinnvollsten wäre die Privatisierung an eine ausländische Großbank. Für die Kundschaft ist wenig erreicht, wenn eines der trägen, durchaus privatkundenfeindlichen und mittelstandsfremden deutschen Geldhäuser den Zuschlag erhält. Zumindest ist zu hoffen, dass die Gebietsleitung der Volks- und Raiffeisenbanken pfiffig genug ist, schnell viele neue Kunden einwerben zu wollen. Außerdem darf dem Käufer der Sparkasse kein Gebietsschutz zugestanden werden – anderen Sparkassen der Region müsste die Ausdehnung nach Stralsund erlaubt sein, indem sie die Bezeichnung „Sparkasse Stralsund“ kaufen.

Glückt aber das Experiment, ist den Stralsundern ein doppelter Pioniergewinn zu gönnen. Sie erhalten einen – nicht bezifferbaren – Preiszuschlag, den die Käuferbank wegen der enormen grundsätzlichen Bedeutung dieser Akquisition zahlen wird. Und die Versorgung der Kundschaft wird sich wohl zumindest in Stralsund unter den Augen der gesamten Finanzbranche nicht verschlechtern, damit auch anderswo Privatisierungen attraktiv werden. DIETMAR BARTZ