Atomfabrik zum Ausschlachten

Die Hanauer Plutoniumfabrik wird von den Chinesen zu allem Möglichen genutzt, nur nicht zur Produktion von Brennelementen. Das wissen auch die Grünen und der Kanzler

Das Atomgeschäft verstößt gegen die Sicherheitsphilosophie westlicher Zivilisationen

Alle reden über den Chinakracher, den der Kanzler den Grünen unter den Christbaum gelegt hat: den umstrittenen Export der Hanauer Brennelemente-Fabrik ins Reich der Mitte. Aber keiner stellt die nahe liegende Frage. Wo im großen China soll eigentlich die Hanauer Konkursmasse aufgebaut werden? Warum interessiert das niemanden? Wie heißt der Standort, an dem dieser Plutonium-Supermarkt irgendwann in Betrieb gehen soll? Weil es keine Antworten gibt, werden auch keine Fragen gestellt. Die Pointe: Es gibt überhaupt keinen Standort.

Die Hanauer Atomfabrik wird in dieser Form in China wahrscheinlich niemals aufgebaut. Die Chinesen haben sie eingekauft wie ein altes Auto. Zum Ausschlachten. Fachleute wie der Pariser Atomexperte Mycle Schneider bestätigen, dass die Atomfabrik sich bequem in ein paar Dutzend Einzelmodule zerlegen lässt, die an allen möglichen Orten zu allen möglichen Zwecken eingesetzt werden können. Darin liegt die eigentliche Brisanz. Die Anlage enthält viel Robotik und andere moderne Technologie für den Umgang mit hochgiftigen Stoffen. Das muss nicht Plutonium sein. Die Fabrik lässt sich genauso gut für die Herstellung chemischer oder biologischer Waffen verwenden und für Atomwaffen sowieso. Alles, was Gott verboten hat, ist mit den automatisierten Hanauer Greifarmen leicht zu handhaben.

Ihre ursprüngliche Bestimmung wird die Siemens-Anlage kaum erfüllen können. Eine so genannte MOX-Anlage brauchen die Chinesen nämlich nicht und wollen sie wohl auch gar nicht. Zur Erinnerung: Die Hanauer Plutoniumfabrik sollte eigentlich MOX-Brennelemente produzieren. Dabei werden dem spaltbaren Uran rund 5 Prozent Plutonium zugemixt. Das dafür verwendete Plutonium, so der längst verwelkte Mythos vom nuklearen Brennstoffkreislauf, wird in den Wiederaufbereitungsanlagen aus verbrauchten Brennelementen extrahiert. Die Hanauer Atomfabrik war also eine Art atomare Recyclinganlage, eine gelbe Tonne für überflüssiges Plutonium.

Nur: Der Chinese sitzt nun überhaupt nicht auf einem großen Berg Plutonium. Die gesamten Vorräte an diesem giftigsten Stoff menschlicher Kultur werden für China auf maximal vier Tonnen geschätzt. Zum Vergleich: Russland sitzt auf mehr als einhundert Tonnen. Ganz bestimmt wird Peking sein mühsam extrahiertes und kostbares Waffenplutonium nicht in MOX-Brennelementen verheizen. Aber selbst wenn China ein paar Tonnen Plutonium übrig hätte, würde die MOX-Produktion keinen Sinn machen. Denn der Durchsatz, also die Verarbeitungskapazität der Hanauer Anlage, liegt bei jährlich 120 Tonnen. Bei 5 Prozent Plutoniumanteil sind das volle 6 Tonnen in jedem Jahr. Woher sollen die Chinesen so viel Plutonium nehmen? 60 Tonnen in zehn Jahren? Oder sollten die chinesischen Atomiker noch verrückter sein, als es ihre deutschen Kollegen je waren, die vor vielen Jahren an die MOX-Option glaubten?

China hat nicht einmal eine eigene zivile Wiederaufbereitungsanlage. Natürlich könnte man im Ausland wiederaufbereiten lassen. Aber selbst wenn alle acht chinesischen Atommeiler volle Pulle laufen, liefern sie nicht annähend die notwendige Menge abgebrannter Brennelemente, um genug Plutonium für die MOX-Fabrik extrahieren zu können. Hinzu kommt, dass die MOX-Produktion fünfmal so teuer ist wie die Herstellung normaler Uran- Brennelemente. Das weiß man auch in Peking. Die MOX-Strategie ist, wenn überhaupt, nur dann sinnvoll, wenn man – wie in Russland – riesige Mengen Plutonium aus der Atomrüstung beseitigen muss. Man kann es also drehen und wenden und einen dreifachen Rittberger schlagen: Es macht alles keinen Sinn. Selbst der dümmste Lebensmittelkonzern würde keine Brotfabrik kaufen, wenn er kein Mehl zum Backen hat.

Hinter dem Kauf der Anlage sind also andere Strategien zu vermuten als die MOX-Produktion. Das weiß auch das Auswärtige Amt mit seinem grünen Vorsteher Joschka Fischer. Der Außenminister kannte allerdings schon in der Vergangenheit keine Skrupel, wenn es um deutsch-chinesische Atomspaltereien ging. Genüsslich hat der Spiegel dem Obergrünen noch einmal um die Ohren gehauen, wie er vor drei Jahren Exportbürgschaften für den Ausbau chinesischer Atommeiler billigte, um hinterher vor der grünen Basis seinen „Fehler“ mit dicken Krokodilstränen zu beweinen. Leider könne er sein Kreuz nicht verbiegen, um sich in den Hintern zu beißen, säuselte der grüne Bonaparte damals vor seinen nickenden Unterlingen. Solche Verbiegungen erwartet niemand. Was man aber von einem grünen Außenminister mit reichlich Hanauer Erfahrung erwarten kann, ist das Zusammenzählen von zwei und zwei.

Fischer und die grüne Führungsriege wissen sehr genau um die Brisanz dieses Atomgeschäfts. Ihr Problem: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich auf den Verkauf der Anlage festgelegt. Lässig, fast nebenbei hat er eine hoch sensible Atomfabrik verkauft wie den Baumarkt um die Ecke. Aus Rücksicht auf Kanzler und Koalitionsräson opfern die Grünen jetzt ihre sicherheitspolitischen Einsichten. Doch das deutsch-chinesische Atomgeschäft ist nicht nur blanker Nuklearlobbyismus. Hier wird an eine halb kommunistische Diktatur eine Technik verkauft, die jederzeit für die Produktion von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen missbraucht werden kann. Wer sich jetzt an den Irak erinnert fühlt, hat durchaus berechtigte Assoziationen, auch wenn die derzeitige chinesische Führung nicht mit Saddam Hussein verglichen werden kann.

Die grüne und sozialdemokratische Generalausrede heißt jetzt: Kontrolle! Die Chinesen hätten Kontrollen zugestimmt. Bravo! Das ist so, als würde man ein Auto verkaufen und sich hinterher darüber freuen, dass der neue Besitzer ein Nummernschild anbringt. Bei solch brisanten Atomgeschäften mit hoch strategischen Anlagen sind Kontrollen und die Einbeziehung von Safeguards nichts anderes als nackte Vorschrift. Damit zu prahlen oder es als schwer erkämpftes Zugeständnis zu verkaufen ist entweder Dummheit oder Demagogie. Kontrollen sind Pflicht.

Eine MOX-Anlagebrauchen die Chinesen nicht – und sie wollen sie wohl auch gar nicht

Allerdings hat der Vorsitzende der Grünenfraktion im EU-Parlament Daniel Cohn-Bendit in seinem bitteren Brief an EU-Außenkommissar Patten zu Recht die Frage gestellt, ob diese Kontrollen in einem nicht demokratischen Land mit massiven Menschenrechtsverletzungen, das zudem bis heute nicht das Safeguard-Protokoll der Internationalen Atomenergiebehörde ratifiziert hat, eine ausreichende Garantie sind, um Missbrauch zu verhindern.

Die Antwort auf diese Frage kennt jeder. Das deutsch-chinesische Atomgeschäft ist ein massiver Verstoß gegen die Sicherheitsphilosophie westlicher Zivilisationen und gegen den Geist des Atomwaffensperrvertrags. Und das alles wegen 50 Millionen Euro. MANFRED KRIENER