: Warten bis zum Sprachverlust
Was passiert, wenn man dem Theater das Hören entzieht? In Ralf Kasteleiners Inszenierung von Beckett in Gebärdensprache, von der deutsch-französischen Compagnie La Parole aux Mains im Tacheles gezeigt, ziemlich viel
„Nous sommes content“, sagt der Sprecher. Wir sind zufrieden. Aber auf der Leinwand ist in roter Leuchtschrift als Übersetzung in diesem Moment zu lesen: „Ein Hund“. Das ist eine technische Panne im Tacheles, die der dortigen Aufführung von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ allerdings nicht schadet. Im Gegenteil: Denn der Regisseur Rolf Kasteleiner hat das Stück unter Verwendung der französischen Gebärdensprache L.S.F. inszeniert und dem Nichtverstehbaren zu begegnen und es auszuhalten ist Teil seines Konzepts.
Fünf Schauspieler verständigen sich an diesem Abend nur gestikulierend auf der weißen Bühne, auf der ein einsamer Bonsaibaum über dreieinhalb Stunden fast das einzige Requisit bleibt. Das Publikum lässt sich mit Schaumstoffmatten auf den gestuften Podesten nieder, die die viereckige Spielfläche umrahmen. Zeitweise sprechen Pozzo (Christoph Dufour) und Lucky (Gil Grillo) die einsilbigen Dialoge Estragons (Bachir Saïfi) und Wladimirs (Olivier Schetrit) in einer abseits stehenden Glasbox auf Französisch ins Mikrofon. Doch wenn sie mitspielen, können diejenigen Zuschauer, die der Gebärdensprache nicht mächtig sind, nur noch der defekten LED-Anzeige zu entnehmen versuchen, was gerade „gesprochen“ wird. Da die manchmal gleich ganz abgestellt wird, hat man schließlich nur noch eine Wahl: Sich auf das zu konzentrieren, was auf der Bühne passiert.
Und das ist gut so. Erscheint Becketts zynische Sprache als ein Zugehen auf das Verstummen, so lässt sich diese moderne Kommunikationsskepsis wohl kaum besser darstellen als durch die Gebärdensprache. In ihrer Geschichte oft als „Affensprache“ diskriminiert, ja in Frankreich bis 1991 sogar gesetzlich verboten, eröffnen sich mit ihr auf dem Theater ungeahnte Potenziale darstellerischer Präsenz. Ist doch die permanente Stille, mit der Gehörlose bewusst zu leben haben, als Äquivalent des überbordenden leeren Geschwätzes begreifbar, das zu einer Verdrängung der Realität werden kann.
Beckett kombiniert die quälende Erfahrung des endlosen Wartens mit der Leere phrasenhafter Dialoge, die nun in Kasteleiners Arbeit eine ganz neue Anschaulichkeit gewinnen: Paradoxerweise scheint „Warten auf Godot“ hier gerade dadurch verständlicher zu werden, dass es weniger gesprochen als vielmehr gespielt wird. Der Zuschauer selbst wird dabei in die Welt der Gehörlosen versetzt: Sein Zeitgefühl wandelt sich. Die Momente scheinen sich nun auch für ihn zu dehnen. Er beginnt also gewissermaßen, mit auf Godot zu warten. Die Fragwürdigkeit des „Zeitvertreibs“ gedankenlosen Sprechens wird ihm dabei insofern bewusst, als er nun selbst plötzlich große Mühe hat, eine pantomimische Darstellung zu verstehen – selbst wenn die Simultananzeige im Tacheles einmal keine Panne hat. Umgekehrt gewinnen so diejenigen Passagen im Stück neue Plausibilität, an denen von Blindheit, Stummheit und Ruhe die Rede ist.
Phasenweise durchdröhnen tieftonige, wummernde Frequenzschwingungen den Saal und machen den gesamten Schauplatz zum Klangkörper. Am eindrucksvollsten gelingt dies im spektakulären Zentrum der Inszenierung, Luckys wildem Tanzsolo. Hier transformiert sich abermals der zeitliche Takt: Immer chaotischere Buchstabensalate zucken mit wachsender Geschwindigkeit über die Betonwände der Halle, während Lucky die Abstraktion seines Stückmonologs in ekstatische Körperbewegungen übersetzt. Das sind Momente, in denen es der Inszenierung fast gelingt, den Wahnsinn zur Realität zu machen.
Man sollte sie nicht verpassen.
JAN SÜSELBECK
„Warten auf Godot“. Tacheles, Oranienburger Straße 54–56, 3.–5. Dezember, 20 Uhr
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