: Die Archäologie der Aufwertung
Die Ausstellung „Jetzt und zehn Jahre davor“ in den Kunst-Werken versucht den Prozess der Gentrifizierung in Berlin-Mitte und in New Yorker Stadtvierteln abzubilden. Das Sammelsurium der Exponate aber lässt den unkundigen Besucher oft ratlos
von MARCUS WOELLER
Es ist eines der beliebtesten Themen der Stadtsoziologie. Der amerikanische Geograf und Urbanismusforscher Neil Smith definiert die Problemstellung so: „Gentrification ist der Prozess, in dessen Verlauf zuvor verwahrloste und verfallene innerstädtische Arbeiterviertel für Wohn- und Freizeitnutzungen der Mittelklasse systematisch saniert und renoviert werden.“ Mit dem Verhältnis von Kulturproduktion, Gentrifizierung und Stadtentwicklung befasst sich nun eine Ausstellung in den KunstWerken.
„Jetzt und zehn Jahre davor“ löst zwar die vorherige Themenschau „Schrumpfende Städte“ ab, ist aber nicht als Fortsetzung des verwandten Sujets zu verstehen. Eher als Vertiefung eines Teilbereichs aus anderer Sichtweise. Aus künstlerischer statt analytischer Perspektive wird jetzt auf die Gentrification geblickt, die Methode ist archäologisch statt dokumentarisch.
Der explizit künstlerische Gesichtspunkt erklärt sich dadurch, dass es KünstlerInnen selbst sind, die das Phänomen Gentrifizierung überhaupt erst in Gang bringen. Vereinfachend: Künstler sucht billigen Wohn- und Arbeitsraum, Künstler entdeckt von der Stadtpolitik und Immobilienwirtschaft vernachlässigte Quartiere; sein Kunstschaffen führt zum Imagewandel des Viertels, bald ziehen Galeristen, Kreative und Bohemiens nach, Spekulanten involvieren sich. Resultat: Luxussanierung, Mietenexplosion, Verdrängung der ursprünglichen Bewohner und – hier beißt sich die Katze in den Schwanz – auch der Künstler.
Zehn Jahre später hat sich das Viertel komplett gewandelt. So geschehen vielerorts in New York City: SoHo, Tribeca, East Village, Meatpacking District. Berlin mit seiner ausgeprägten Kiezstruktur hat ebenfalls Gentrifizierungen hinter sich und erlebt sie noch. Wer sich an die Gegend um den Hackeschen Markt Anfang und Mitte der 1990er Jahre erinnert, weiß worum es geht. Wer nicht, kann es in der Ausstellung schwer haben.
Denn viele der gezeigten Kunstwerke sind eher Reminiszenzen an den architektonischen aber auch sozialen Umbruch. Die Kuratoren der Ausstellung, Axel John Wieder, Gertrud Berlin und Josef Strau, arbeiten somit an einer Archäologie dieser Zeit. Sie präsentieren Kunst im Kontext der Gentrification, anstatt den Stadtumbau zu illustrieren oder zu dokumentieren.
Strau und Stephan Dillemuth rekonstruieren in der dritten Etage der KW ein Projekt, das sie 1992 in der New Yorker Pat Hearn Gallery zeigten. Damals betrieben sie den Schauraum „Friesenwall 120“ im Kölner Friesenviertel, das sich im urbanen Umstrukturierungsprozess befand. Die Galeristin Pat Hearn war am Strukturwandel der Lower East Side beteiligt. Strau und Dillemuth zeigten Protagonisten der Kunstszene des East Village zu Beginn der 80er. Als Memento der Avantgarde sammelten sie Street-Art-Konzertplakate der Band Sonic Youth, Poster vom „Voluptuous Horror“ der Performerin Karen Black, Martha Coopers Graffiti-Fotografien und Independent-Zeitschriften.
Eine Etage tiefer hat sich der Art Club 2000 häuslich eingerichtet. Das Projekt „SoHo So Long“ von 1996 versammelt Fotografien und Interviews von Galeristen und Kritikern aus der Zeit, als die Galerien vom Künstlerviertel SoHo ins etwas entlegenere Quartier Chelsea umzogen. Neun Videointerviews rücken wiederum das Jahr 1970 in den Mittelpunkt veränderter Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Kunst.
Der erste Stock des Ausstellungshauses, das maßgeblich an der strukturellen Veränderung seines eigenen Kiezes beteiligt war, widmet sich der jüngsten Ausgehvergangenheit der einerseits nostalgisch verklärten, andererseits verachteten Mitte. Es war die Zeit, als das Zentrum des ehemaligen Ostberlins aus einem einzigen versteckten Club zu bestehen schien und mit obskuren Metallobjekten möbliert war. Jänis M. Pohls „Sitzobjekt“ aus Stahl und Kupfer korrespondiert mit Martin Eberles Fotografien längst verblichener Kultureinrichtungen wie der „galerie berlintokyo“ oder dem „Eimer“, deren Räumlichkeiten inzwischen der Immobilienspekulation zum Opfer gefallen sind.
Andere Hausbesetzer bekamen schon sehr früh Aggressionen gegen ihre Lebensvorstellungen zu spüren. „The Battle of Tuntenhaus“, zwei Filme von Juliet Bashore, begleiten ein queeres Wohnprojekt in Friedrichshain – vor und nach der gewaltsamen Auflösung beim Häuserkampf um die Mainzer Straße im Herbst 1990.
Die gesellschaftliche Funktion von Kunst manifestiert sich manchmal erst aus der Distanz. An dem Punkt, wo Erinnerungen entweder vergessen oder historisiert und bewahrt werden, setzt die Ausstellung „Jetzt und zehn Jahre davor“ an.
„Jetzt und zehn Jahre davor“, Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis zum 9. Januar
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