Die blinden Sänger

Schön fürs ZDF: Bayerns Intendant Thomas Gruber führt ab 2005 die ARD. Das bedeutet medienpolitische Entspannung – in die falsche Richtung

Auch 2005 dürfte ein lustiges Jahr für ARD und ZDF werden: In der Auseinandersetzung mit der so genannten Medienpolitik um den künftigen Zuschnitt des öffentlich-rechtlichen Systems ist bestenfalls Halbzeit, die Rundfunkgebühren sind gekappt, das vor zehn Jahren erst per Verfassungsgerichtsbeschluss eingeführte Prozedere zu ihrer Ermittlung haben die Ministerpräsidenten auf fragwürdige Art ausgebremst.

„Alles, was nicht unmittelbar zum Programmauftrag gehört, wird in Frage gestellt“. Diesen markigen Satz hat Jobst Plog, NDR-Intendant und scheidender ARD-Vorsitzender, gestern via Deutsche Presse-Agentur seinem Nachfolger unter den Weihnachtsbaum gelegt.

Der heißt Thomas Gruber, steht dem Bayerischen Rundfunk (BR) vor und hat sich im Gegensatz zu Plog in der nationalen medienpolitischen Debatte bislang eher zurückgehalten. Denn der BR ist nunmal mit einem Landesvater namens Edmund Stoiber (CSU) gesegnet, der in der Riege der reformbegeisterten MinisterpräsidentInnen die erste Geige spielt. Und nirgends sind die Kontakte von Landesregierung und Landesanstalt inniger als in Bayern. Das durfte der seit 2002 amtierende Gruber, der vor 23 Jahren aus der damals noch schwarzen Landesregierung Schleswig-Holstein zum Bayerischen Rundfunk (BR) kam, bald nach seiner Wahl auch selbst brav vorexerzieren: Auf Druck der CSU wurde dem Sportreporter Günther Koch, der 2002 aussichtsreich für den Landtag, aber dummerweise auf dem Ticket der falschen Partei, der SPD, kandidieren wollte, mit Sendeschluss gedroht. „Voraussetzung für die Weiterbeschäftigung eines BR-Mitarbeiters, der zum Abgeordneten gewählt wird“, sei, dass „hierüber parteiübergreifender Konsens erzielt wird“, so damals Gruber.

Obwohl es auch für seine Anstalt eng wird – durch die Kappung der Gebührenerhöhung von ursprünglich 1,09 Euro auf 88 Cent und die Verschiebung der Anpassung vom 1. Januar auf das Frühjahr fehlen dem BR laut Süddeutscher Zeitung in den kommenden vier Jahren rund 54 Millionen Euro – ist von Gruber nicht der hartnäckige Widerstand Plog’scher Prägung zu erwarten. Unter dem neuen ARD-Vorsitzenden dürfte vielmehr wieder der brüderliche Schulterschluss mit dem ZDF gelingen. Dessen Intendant Markus Schächter hatte durch seine Nachgiebigkeit in der ARD nicht nur Plog genervt. „Die Politik hat einen Weg gefunden, mit uns in einer vernünftigen Form eine Brücke zu schlagen. Da war das ZDF mitbeteiligt, die entsprechenden Wegweiser zu beschriften“, lobte sich Schächter diesen Sommer im taz-Interview.

Wohl deshalb geißelte Plog gestern noch einmal die „unzulässige Vermischung von Gebührendebatte und Strukturfragen“ in der politischen Auseinandersetzung der vergangenen Monate. Die MinisterpräsidentInnen versuchten, „den Gebührenhebel für standortpolitische Zwecke anzusetzen“. Plog wäre nun am liebsten sofort nach Aufkündigung der Gebührenregelung vors Verfassungsgericht gezogen, wurde aber von anderen ARD-Intendanten gebremst.

Gruber ist dagegen vorerst nur in Heimscharmützel verstrickt: Weil der BR 2006 das Münchner Rundfunkorchester auflösen will, ergießt sich über ihn derzeit der geballte Zorn des nicht volksmusikalischen bayerischen Kulturlebens. Und auf der ursprünglichen Streichliste von Landesvater Stoiber steht außerdem noch der Wissenschaftskanal Bayern Alpha.

Die ARD sei „mit ihren Programmen erfolgreich und deshalb der privaten Konkurrenz ein Dorn im Auge“, erklärte Plog gestern – und wirtschaftlich, weil sie schon seit vielen Jahren an Strukturverbesserungen arbeite. Das ist natürlich reine Anstaltspoesie. Heute hat die ARD Stars, Sternchen und manche Medien zum traditionellen Adventsempfang nach München eingeladen. In Wirklichkeit steht die Stimmung auf Melodram. Immerhin das Erste gibt dies heute (20.15 Uhr) auch unfreiwillig passend zu: Im Rührstück „Mit deinen Augen“ spielt Barbara Wussow eine blinde Sängerin.

STEFFEN GRIMBERG