Tick Tock, it’s Hyères O’Clock

DIE ZEHN BESTEN Seit mehr als zwanzig Jahren schon pilgert die internationale Modewelt nach Hyères an der Côte d’Azur, um beim „Festival International de Mode et de Photographie“ junge Talente zu entdecken

Der Sturm, der bedrohlich um den Pavillon toste, lieferte einen unerwarteten Unterhaltungsfaktor

VON ANNABELLE HIRSCH

Drei Tage, zehn Designer, zehn Fotografen, eine internationale, hochkarätige Jury und viel Sonne, das Ganze im traumhaften Rahmen der geschichtsträchtigen Villa Noailles. Das „Festival International de Mode et de Photographie“ in der kleinen südfranzösischen Stadt Hyères – etwa eine Stunde westlich von Saint Tropez gelegen – genießt nicht umsonst den Ruf eines inspirierenden Feriencamps für die Mode- und Kunstwelt. Dort, wo in den 20er-Jahren Künstler wie Man Ray, Picasso oder auch Giacometti ihre Ferien bei dem avantgardistischen Mäzenen-Paar de Noailles verbrachten, trifft seit 1986 jedes Jahr ein Schwarm von extravagant bis elegant gekleideten Menschen ein, um Arbeit und Vergnügen zu vereinen und den Talenten von morgen unter die Arme zu greifen.

Unter der Leitung des diesjährigen Präsidenten Kris Van Assche, des künstlerischen Leiters von Dior Hommes, selektierte das Juryteam um kreative Größen wie der Fotografin Nan Goldin, der Filmemacherin Zoe Cassavetes oder auch Jefferson Hack, dem Chefredakteur von Another Magazine, seit Ende November aus mehreren hundert Bewerbungsmappen die zehn besten der Disziplin Modedesign, während das Team um den legendären Fotografen und Art-Direktoren Peter Knapp die fotografischen Talente unter die Lupe nahm.

Am Freitag letzter Woche wurde bei der Eröffnung des 24. Festivals endlich das Ergebnis der monatelangen Auswahl präsentiert. Zwischen den pictorialistisch anmutenden Arbeiten der Amerikanerin Amy Adams, den „Fotoskulpturen“ der Mexikanerin Alejandra Laviada und den Momentaufnahmen des Schweizers Linus Bill wurde ein breites Spektrum an fotografischer Produktion eröffnet, ohne dass dabei wirklich bahnbrechend neue Ideen zu entdecken gewesen wären.

Etwas surrealer ging es an den zwei folgenden Abenden bei den Modepräsentationen im weißen Zelt am Ayguade Beach zu. Wenn sich auch unter den einzelnen Kollektionen weniger eindeutige Favoriten herauskristallisierten, als es etwa noch 2007 mit Sandra Backlund der Fall war, bekam das fleißige Spekulieren durch den Sturm, der bedrohlich um den Pavillon toste – in dem man sich wie mitten in einem alten Tetris-Computerspiel fühlte –, einen kaum erwarteten Unterhaltungsfaktor. Allerdings sorgten die Wetterbedingungen dann doch dafür, dass das Spektakel am Samstagabend frühzeitig abgebrochen und das Modepublikum auf den stürmisch-verregneten Strand entlassen werden musste.

Die Idylle des modischen Feriencamps ließ sich vom Wetter nur bedingt beeinträchtigen, denn Hyères 2009 bot mit Diskussionsrunden zu „Mode angesichts der Krise“ oder „Die Logik des internationalen Modekalenders“, mit Ausstellungen von Peter Knapp, Steven Meisel und Kris van Assche sowie einem postkartenwürdigenMeerblick genug, um den fehlenden Sonnenschein zu kompensieren.

Zwar war man sich einig, dass die grenzenlos übersprudelnde Kreativität dieses Jahr vor allem bei den Modekreationen wenig Platz fand, doch die abschließende Preisvergabe des „Grand Prix du Jury“ und des „Prix 1.2.3.“ – jeweils mit 15.000 Euro dotiert – an das lettische Designerpaar Marite Mastina & Roland Peterkops für ihre Mischkollektion „Private Detective“ befriedigte dann doch. Mit dem Wunsch, eine Form von „Cinema Fashion“ zu schaffen, inspirierte sich das Duo am Film Noir und schuf einen ganz eigenen Kosmos, um die typischen Charaktere dieses Genres wie den Bankräuber, den Detektiv, den Journalisten und die Femme fatale zu konstruieren. Die vielschichtige Auflösung des klassischen Sherlock-Holmes-Trenchcoats in Verbindung mit überdimensionalen schwarzen Perücken als Verweis auf die japanische Mangawelt bewiesen Humor und Liebe zum Detail.

Ebenso deutlich zu erkennen war dies bei den beiden „Prix Swarovski“-Gewinnern, dem Norveger Harald Lunde Helgesen für seine Männerkollektion der „Mode als archäologisches Terrain“ und dem Belgier Simon-Pierre Toussaint, dessen poetische Interpretation der Männerbekleidung als Schutzhülle für die unbeholfene Jugend ihm dazu noch den „Prix du Jury“ einbrachte. Auch die Entscheidung der Fotojury für Linus Bills großformatige Aufnahmen des flüchtigen Alltags war kaum überraschend, was letztlich auf den Mangel an polarisierender Extravaganz zurückzuführen war.

Trotz Regen und wenig Verrücktheiten bleibt Hyères mit der kubistisch verwinkelten Architektur der Villa Noailles attraktiv genug, um auch im nächsten Jahr mit dem Jurymitglied, der Bloggerin Diane Pernet, zu sagen: „Tick Tock, it’s Hyères O’Clock!“