Wie Marx‘ Kritik fröhlich baden geht

betr.: „Historiker sind Hofnarren“, Interview mit Richard Evans, taz (Kultur) vom 8. 12. 03

Mit seiner Warnung, das vom Ökonomismus gesäuberte „theoretische Baby“ nicht kulturphilosophisch auszuschütten, mag Richard Evens richtig liegen. Nicht aber damit, dass durch seine „Marx-Kritik“ zu entsorgendes „marxistisches Badewasser“ entstanden sei. Denn der „ökonomistische Dreck“, alle „Ideologien auf Klassenkonflikte und wirtschaftliche Phänomene zu reduzieren“ (Evans über „den“ Marxismus), geht an Marx ebenso weit vorbei wie die ihm unterstellte „Idee, dass die Geschichte durch Klassenkampf zum Schlusspunkt, nämlich zur proletarischen Revolution gelangt“.

Marx’ „Idee“ war eine andere: dass mit der – erst durch die Weiterentwicklung des Kapitalismus möglichen, aber auch notwendigen – kollektiven Selbstbefreiung aus den Beschränkungen der Lohnabhängigkeit die Geschichte aufhört, eine Geschichte von Klassenkämpfen zu sein, und „die Geschichte der Menschheit“ erst damit wirklich beginne. Man mag diese Perspektive nicht teilen, aber als „Marx-Kritiker“ sollte man sie zumindest kennen.

Auch mit seiner Behauptung, dass „Frauen-, Schwulen- oder Ökologiebewegung mit der marxistischen Theorie nicht zu interpretieren ist“, liegt Evans daneben. Das zeigen nicht nur unzählige Abhandlungen, Programmmatiken und Aktivitäten aus der „marxistischen“ Ecke bis zur Gegenwart. Partizipation an der Entwicklung und dem Einsatz der menschlichen Bereicherungsmittel, und zwar unabhängig von Geschlecht, Herkunft usw., ist und bleibt das zentrale Motiv des marxschen Kommunismus – und Gradmesser seiner Fort- oder Rückschritte. Die Konkurrenzbedingungen so umzugestalten, dass alle Menschen – weltweit – sozial und ökologisch bewusst handeln können! Diese (beileibe nicht nur!) „marxistische“ Frage ist das zu waschende Baby. Das dabei unzweifelhaft anfallende Schmutzwasser mag dann gemeinsam ausgeschüttet werden.

HANS-HERMANN HIRSCHELMANN, Berlin