Schuldbewusste Mienen

Auch in Polen ist klar, dass das Scheitern von Brüssel ein Scheitern von Warschau ist

WARSCHAU taz ■ Die Polen wussten kaum, wie ihnen geschah: Gerade war Ministerpräsident Leszek Miller nach Brüssel zum alles entscheidenden EU-Verfassungsgipfel geflogen, da war er auch schon wieder da. Dabei hatten alle erwartet, Zeuge eines besonders dramatischen Schauspiels zu werden. Immerhin, so hatte es geheißen, gehe es für Polen auf dem Gipfel um nicht weniger als um „Sein oder Nichtsein“ in der EU. Angeblich wollten Deutschland und Frankreich die künftige EU-Verfassung zu einem Vehikel ihres ungezügelten Machthungers machen. Leszek Miller, der vor gut einer Woche nur mit viel Glück einen Hubschrauberabsturz überlebt hatte, zog im Rollstuhl in den Kampf: „Polen ist ein großes, stolzes Land.“ Doch bevor der polnische Held mit dem Säbel rasseln konnte, war schon alles vorbei.

Dabei hatte Miller angeblich schnell nach Warschau zurückjetten wollen, um die weitere Verhandlungstaktik mit Staatspräsident Kwaśniewski zu besprechen. Denn mit der unnachgiebigen Haltung „Wir lassen uns nicht erpressen“ kam er in Brüssel nicht weiter. Auch Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz erntete mit seiner Mahnung „Pacta sunt servanda“ nur Kopfschütteln. Immerhin hatte der Konvent 16 Monate lang daran gearbeitet, alle bisherigen EU-Verträge und damit auch den von Nizza durch die erste EU-Verfassung zu ersetzen.

Das Fiasko von Brüssel ist vor allem eines von Warschau. Das ist auch den Polen klar geworden. Nicht Blumen und Küsschen warteten in Warschau auf Miller und Cimoszewicz, sondern betretenes Schweigen und schuldbewusste Mienen. Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski versuchte zu retten, was zu retten war: „Morgen ist auch noch ein Tag. Die Sonne wird wieder scheinen.“ Das Scheitern der Gespräche sei kein Drama, sondern eine „Episode in der Geschichte Europas“. Es sei „unmöglich, einem bestimmten Land die Verantwortung dafür zuzuweisen“. Dennoch wolle er mit einer Diskussionsinitiative Ton und Richtung der EU-Debatte in Polen ändern. Statt martialischer Kampfparolen à la „Nizza oder der Tod“ solle demnächst gelten: „Für ein starkes Polen in einer starken EU.“

Nur der Erfinder der Parole, Jan Rokita von der oppositionellen Staatsbürgerplattform, freute sich über den „Erfolg“ in Brüssel. Er gratulierte Leszek Miller: „Gut gemacht, Herr Ministerpräsident. Weiter so!“ GABRIELE LESSER