Zuhause Türkisch

In einer Moschee in Hamm erklärt Sprachexperte Roger Loos Migranten, wie sie ihren Kindern Deutsch beibringen können – auf Türkisch

Von Eva Weikert

Roger Loos steht in einer Moschee und tut, als sauge er Staub: „Und jetzt sauge ich vor dem Stuhl, unter dem Stuhl und neben dem Stuhl“, sagt er und wippt kräftig dazu. Neben dem Sozialpädagogen steht ein Dolmetscher und übersetzt für rund 25 Väter und Mütter ins Türkische. Wie Dutzende ErzieherInnen und ein Reporter der Zeitung Türkiye sind sie an diesem Abend in die Moschee des größten islamischen Dachverbandes, Ditib, nach Hamburg-Hamm gekommen, um den Ex-Unternehmensberater zum Thema Zweitspracherwerb zu hören. „Reden Sie viel mit ihrem Kind und begleiten Sie sprachlich alles, was sie tun“, bittet er am Kopfe des Beetsaals: „Aber auf Türkisch.“

Loos hat sich mit einem Deutschförderprogramm einen Namen gemacht. Nachdem er damit Migrantenkinder in seiner Heimatstadt Köln fit für die Schule machte, startete es jüngst auch in Hamburg: Bezahlt vom Paritätischen Wohlfahrtsverband machte Loos Erzieherinnen in 35 Kitas mit seiner Methode vertraut. In Kleingruppen werden seither zweimal die Woche für zwanzig Minuten sieben Wörter gelernt, etwa beim Spielen mit Puppen „das Bein“ und „der Bauch“. Erzieherin Renate Borgmann erklärt den Lerneffekt damit, „dass die Kleinen dabei in einer intensiv deutschsprachigen Umgebung sind, in der kein Raum für die Muttersprache ist“.

Um zugleich die Eltern in die Pflicht zu nehmen, tingelt Loos durch Moscheen. Nach Hamm brachte er eine Skizze mit, die er unter ein Ensemble aus deutscher und türkischer Fahne klebte. Linien und Zahlen zeigen, wie lange es braucht, eine Sprache zu lernen. 900 Wörter kennt ein dreijähriges Kind, als Schulreife gelten 2.500. Um das Pensum zu schaffen, müssten Migrantenkinder ab drei Jahren zusätzlich zur Muttersprache alle anderthalb Stunden ein deutsches Wort lernen. „Ein Dreijähriger lernt aber maximal drei Worte pro Tag“, weiß der Sprachexperte und ermahnt seine Zuhörer darum, ihre Kinder selbst beim Deutschlernen zu unterstützen.

Dafür ist zuallererst Kompetenz in der Muttersprache vonnöten. „Bitte kein Deutsch zu Hause“, warnt Loos zum Erstaunen der Zuhörer, „denn die zweite Sprache ist immer nur so gut wie die erste.“ Migrantenkinder müssten darum „möglichst viele Worte in ihrer Muttersprache kennen“. Interessierte Verwunderung bei den Eltern auch, als er Bastelscheren empfiehlt, „weil die Zunge jeden Schnitt mitmacht und so beweglicher wird“. Der elterliche Einsatz nütze aber kaum, stellt Loos klar, ohne regelmäßigen Kita-Besuch mindestens fünf Stunden pro Tag.

Ein ebenfalls tägliches Sprachtraining biete Migrantenkindern weit größere Chancen, die offizielle Schulreife zu erreichen. „Mehr als 40 Minuten pro Woche ist personell in den Kitas leider nicht leistbar“, erklärt Loos. Umso weniger, als der CDU-Senat per Sparbeschluss den Personalschlüssel jetzt noch einmal massiv verschlechtert.