Der kleine Selbstbetrug

Stoisch wie die Echsen: Heiko Werning ist Reptilienfachmann, Dichter und Vorleser. Der lakonische Westfale, der mit den Brauseboys und der Reformbühne Heim und Welt auftritt, liebt den Humor im Unspektakulären – auch im Wedding. Ein Porträt

Wenn Heiko Werning spricht, auch über Unangenehmes, dann ohne Emotion

VON JANA SITTNICK

Leguane. Eidechsen. Reptilien. Heiko Wernings Wohnung ist mit Terrarien möbliert. Sie verströmen einen bizarren Duft, eine Mischung aus Sägespänen und Dschungelcamp. Zwei winzige Leguane sitzen unter der Wärmelampe in ihrem Glaskasten. Sie sind Geschwister, drei Monate alt, Werning hat sie aus Chile mitgebracht.

Die Angelegenheit mit den Reptilien nimmt er ganz ernst, es ist seine andere Welt, abgetrennt von der des Humorarbeiters. Und doch mit der gleichen professionellen Verve betrieben: Werning lebt vom Redakteursjob für die Fachzeitschrift Reptilia ebenso wie von seinen satirischen Texten, den Live-Shows und den Expertengesprächen über die Kulturgeschichte der Aale. Er ist eben ein Mann mit vielen Talenten.

Das mit den Echsen begann, als Heiko Werning sechs Jahre alt war, da fing er im Wald Eidechsen und brachte sie mit nach Hause. Die Mutter war nicht so erfreut. 1970 in Münster geboren, wuchs er behütet im Vorort Hiltrup auf, in einer Reihenhausgegend mit liberalen Arzt- und Anwaltsfamilien. Der Vater war Ingenieur, die Mutter blieb zu Hause, und die Kinder schauten „Biene Maja“ und die „Wombles“ im Fernsehen.

Wernings Entwicklung muss glatt verlaufen sein, von den Querelen an der von kirchlicher Hand geleiteten Schule – „die machten Ärger, als ich in der Schülerzeitung über Aids schrieb“ – einmal abgesehen. Das Unspektakuläre findet seinen würdigen Platz in Wernings Texten, es wird zuweilen überhöht, zugespitzt, ins Absurde gedreht, oft aber auch nur lakonisch dahererzählt. Hindurch schimmern die freundliche Spießigkeit, die „dos and don’ts“ der Eltern, die kleinen Selbstbetrüge der verständnisvollen Mittelschicht und die unerfüllten Versprechen der Jugend.

Wenn Werning auf die Daheimgebliebenen zu sprechen kommt, hebt er den Zeigefinger schon mal gern in Satiriker-Art. Da kriegen die Schulfreunde aus der Provinz ihr Fett weg, die nun wie ihre Eltern sind – so, wie sie nie sein wollten. „Ich guck mir halt an, wie Menschen so leben“, sagt der Dichter dazu, „und wie sie ihre eigenen Vorstellungen über den Haufen werfen.“ Als Vorleser tritt Werning regelmäßig in Erscheinung – Sonntags bei der Reformbühne Heim und Welt im Kaffee Burger und Donnerstags bei den Brauseboys im Wedding. Einmal im Monat präsentiert er im BKA-Theater „Weltstars privat“, seine Zweimannshow mit Storys und Songs.

Wenn Heiko Werning spricht, auch über Unangenehmes, bleibt die Emotion draußen. Der große, massige Westfale schwingt irgendwie in stoischer Ruhe. Auf dem glatten, von jeder Falte verschonten Gesicht des 34-Jährigen wird nicht deutlich, was ihn gerade bewegt. Die Mentalität der Westfalen sei, so Werning, „wortkarg bis stur“. Vielleicht liegt es daran.

Auf der Bühne wirkt Werning zurückgenommen, seine Geschichten liest er in kühlem Hochdeutsch und mit kaum modulierter Stimme. Das fällt im Gros der Ostberliner Vorleser auf: Wo manch anderer mit Proletencharme protzt, als gelte es, die Curry-Wurst zu retten, da gräbt sich Werning tief in die Beobachtung einer Situation und destilliert ihre komische Essenz.

Er schreibt mit exzellent trockenem Humor Texte über das Kinderkriegen, die Besäufnisse seiner Tante oder über Würmer-Automaten an Weddinger Häuserwänden. 1991 kam Heiko Werning von Münster nach Berlin: Er wollte Umweltschutz studieren. Dann brachen Dichtung und Rock ’n’ Roll in sein Leben. Werning hat mit dem Chuckwalla Club eine CD mit melancholischen Liedern aufgenommen, die von unerfüllten Sehnsüchten handeln, von Doppelhaushälften und unglücklichen Amouren.

Als Reptilienfachmann ist er spezialisiert auf „Chilenische Leguanartige“. Vor kurzem war er auf Einladung des chilenischen Umweltministeriums in den Anden, um den Lebensraum der seltenen Echsen zu erforschen. Das Museum König in Bonn unterstützt sein Projekt finanziell. Dass Tierspezialisten für den Rest der Welt als komische Käuze gelten, ist ihm bekannt, er findet sie – und sich selbst ja auch – komisch.

Werning ist kein Glamour-Typ. Seit dreizehn Jahren lebt er im Wedding und will auch nicht weg. Am schmuddeligen Image des Bezirks stößt er sich nicht, im Gegenteil. Die Leute auf der Straße seien so, wie sie sind, ohne Schein und Chi-Chi. Werning meint einen gewissen „Charme des Multikulturellen“ in der Seestraße und Umgebung auszumachen.

Den Hipster-Schick holt er sich auf dem Weg zur Arbeit ab: „Wenn ich zur Lesung nach Mitte fahre, finde ich das ganz schön. Für einen Abend reicht das aber auch.“ Froh ist Werning jedes Mal, wenn er zurückkommt in den Wedding.

Heiko Werning, morgen, 21 Uhr, mit Reformbühne Heim und Welt, Kaffee Burger, Torstraße 60; am Donnerstag mit den Brauseboys, Galerie Laine-Art, Liebenwalder Straße 39, 21 Uhr, und 20. 12., BKA-Theater, 20 Uhr, mit FIL und Volker Strübing. www.reptiphon.de