Hinab ins Dunkle!

FRÜHSOMMERNACHT Au Revoir Simone werden immer housiger, gefühlvoller, besser. Im Admiralspalaststellten die drei Frauen ihr drittes Album vor, zeigten frischen Mut zum Break und erzeugten Hitzewellen

Au Revoir Simone machen Verzichtsmusik. Für Schüchternheit, für die Ekstase, die in der Zurückhaltung liegt

VON RENÉ HAMANN

Sie sind immer besser geworden. Inzwischen hat ihre Musik sogar den Admiralspalast erreicht. Dort spielten sie am vergangenen Mittwoch, allerdings nicht im großen Saal, der leider von Notkomiker von Hirschhausen und seinem gutbürgerlichen Publikum in Beschlag genommen wurde, sondern im Seitenclub 101, einem kleinen Saal mit der Aura einer Tanzschulklasse. Wie sich herausstellte, war die klamme und heiße Atmosphäre sogar ganz das Richtige für die neuen Klänge der drei langhaarigen Frauen und ihrer Keyboards.

Denn Au Revoir Simone sind wie gesagt immer besser geworden, ihr drittes und am Freitag herausgekommenes Album „Still Night, Still Light“ ist nicht nur subtiler, abwechslungsreicher und satter geworden als die Vorgängerinnen, sondern auch housiger. Mehr auf den Beat. Auf die Hypnose. Die Strahlung.

Ansonsten hat sich nicht so viel geändert am Sound der drei Frauen aus Brooklyn. Noch immer besteht er aus Sirenengesang, billigen Beatboxen und analogen Synthesizern. Dazu werden immer noch aufgelöste Akkorde gespielt. Aber was im ersten Moment spröde klingt, nach einer mellow Variante von Easy Listening Pop mit Retrotouch, der nicht umsonst zahlreichen deutschen Filmemachern gefällt (u. a. Til Schweiger, siehe „Keinohrhasen“), entfaltet mit längerem Zuhören eine ungeheure Sogwirkung. Hinab ins Dunkle! Au Revoir Simone ist es gelungen, ihren einstmals als seelenlos und kalt verschrienen Geräten sehr, sehr viel Gefühl zu entlocken.

Was dazu gekommen ist, was neu ist, ist ein frischer Mut zum Break, sind gut geplante Tempus- und Rhythmuswechsel, was sich besonders bei den alten Stücken bemerkbar machte, die Au Revoir Simone hier vor dem durchweg mit poplustigen jungen Menschen bevölkerten Club 101 in Neuversionen ins Set streuten. Aber gerade auch die neuen Stücke haben es in sich.

Was natürlich klar sein sollte, wenn man diesen Slow Indie Deep House mit weiblichem Singsang und dem Charme einer unschuldigen Vorstadtjugendliebe zum ersten Mal hört, ist, dass Au Revoir Simone niemals auf den großen Effekt setzen. Nicht auf Posing, Melodieoffensive oder Virtuosität. Nicht auf den Kick für den Augenblick. Aber das alles nicht, weil die drei Frauen es nicht könnten, sondern weil sie es schlicht nicht wollen. Heather D’Angelo, Erika Forster und Annie Hart machen Verzichtsmusik. Musikalische Plädoyers für Schüchternheit, für die Ekstase, die in der Zurückhaltung liegt. Grob erklärt: Au Revoir Simone machen das, was Bananarama vor fünfzehn Jahren gemacht hätten, hätten sie sich für ein Jahr oder zwei mit einem Haufen kluger und sturztrauriger Bücher in ihre Kämmerlein zurückgezogen. Simple, aber intelligente Popmusik also, mit leicht veralteten Instrumenten der Firmen Roland, Korg, Yamaha und Raum nach oben, den sie nach und nach, Schicht für Schicht, Klang für Klang, Harmonie für Harmonie öffnen und weiter öffnen werden, denn von Au Revoir Simone wird man noch etwas erwarten können.

Natürlich liegt der Reiz dieser Flirrmusik auch in der Traurigkeit, die durch die Töne und die eher sensible Erscheinung der drei Frauen schimmert. D’Angelo, Forster und Hart schütteln zwar auch mal eine Rassel oder scherzen mit dem Publikum, Extrovertiertheit ist aber ganz und gar nicht ihr Programm. Das Publikum im Club 101 war es zufrieden. Dass es sich nach dem Konzert mit der aus dem Hauptsaal strömenden Masse komikbehandelter älterer Menschen mischen musste, draußen auf dem Hof, war nicht weiter schlimm. Schließlich herrschte ja auch Frühsommer.