TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: So viel Frieden
Was ist nun mit den sozialen Unruhen? Sprachen Parteien und Gewerkschaften in selbsttherapeutischer Absicht von jenem Gespenst – nach dem Motto, wenn ich darüber spreche, ängstigt es mich nicht mehr? Oder wollen sie es organisieren? Der parlamentarischen Linken hat die Krise bisher keinen Zuwachs gebracht. Und die Geschichte beweist: Eine Krise macht noch keine Revolte.
Frappierender ist, dass viele Funktionäre an der gesellschaftlichen Realität vorbeizuleben scheinen, wenn sie glauben, der soziale Frieden sei durch eine ins Schwanken geratende Existenzsicherung namens Lohnarbeit gefährdet. Nein, Standortpolitik und Individualisierung waren die Stichworte der letzten Jahre und die Idee einer sozialpartnerschaftlich ausgehandelten Regulierung von Gesellschaft doch längst aufgekündigt.
Die Soziologen Klaus Dörre und Robert Castel zeigen in ihrem neuen Buch „Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung“ (Campus, 2009), dass „soziale Unsicherheit nicht erst seit dem Kollaps der Finanzmärkte zu einer Massenerfahrung geworden“ ist, sondern sich durch einen funktionierenden Finanzmarktkapitalismus ausgebreitet hat. Und nun?
Die „Prekarisierung“ sollte nun Ausgangspunkt der Diagnosen sein. Nicht um ein neues Verelendungsszenario zu zeichnen. Denn die Situation ist nicht so geschlossen, wie die neuen Keynesianer von links suggerieren. Anstatt lediglich für staatliche Auflagen oder gegen Förderungen für das Kapital zu wettern, sollte man über neue Formen der Existenzsicherung sprechen, die unabhängig von Lohnarbeit funktionieren. Das würde linke Politik zeitgemäß machen.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz. Foto: privat
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