„Homosexualität gilt als inakzeptabel“

Schüler haben nach wie vor ein traditionelles Rollenverständnis, sagt Jörg Litwinschuh vom Schwulenverband LSVD. Die Aufklärungsarbeit der Lehrer hält er für „ein Trauerspiel“ – und fordert Schulungen für die Pädagogen

taz: Herr Litwinschuh, wie lesen Sie die Projektstudie der Andreas-Oberschule?

Jörg Litwinschuh: Sie gibt sehr zu denken. Bemerkenswert ist, dass das Männerbild offenbar wieder viel traditioneller fantasiert wird. Das Rollenverständnis von jungen Männern entspricht beinahe dem unserer Eltern – Homosexualität gilt als unmännlich und damit inakzeptabel. Das ist sehr deprimierend.

Worin liegen die Ursachen – in den Elternhäusern?

Dies hat die Studie nicht erfragt. Aber über Sexualität wird, so viel ist der Arbeit zu entnehmen, dort meist nicht gesprochen: Homosexualität ist, wenn schon über Schwule und Lesben nicht gelästert wird, immer noch ein Tabu.

Weil ohnehin erwartet wird, dass die Kinder heterosexuell zu werden haben?

Ja, auch das. Aber auffällig ist an den Ergebnissen vor allem, dass in Berlin sichtbare Ereignisse wie der CSD, dass sehr gute Jugendprojekte wie Lambda kaum am aversiven Bild vom Homosexuellen rühren konnten. Das ist noch deprimierender.

Auch das Outing vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit hat nicht geholfen?

Wohl nicht. Viele wissen nicht, dass ihr Bürgermeister schwul ist. Sein Outing hat nicht viel geholfen. Alles in allem sind Schwule und Lesben in den Schülerfantasien keine sympathischeren Menschen geworden.

Nun haben aber die Medien viel versucht, diesem negativen Bild abzuhelfen.

Indem sie vor allem Klischees bedienten. Das öffentliche Bild des Schwulen lebt von der Inszenierung des Schrillen. Schwul oder lesbisch zu werden gilt nach wie vor nicht als gleichwertiger Lebensentwurf. Und diese Entwertung wird zudem stimuliert durch die sozialen Umfelder der Kinder – gerade von Gleichaltrigen. Schmerzlich ist obendrein, dass diese Resultate an einer Schule ermittelt worden sind, die als fortschrittlich gilt …

und außerdem in einer Stadt liegt, die sich immer als weltoffen verstanden hat.

Ja, da will ich mir gar nicht ausmalen, wie eine solche Untersuchung an einer ländlichen Schule ausgefallen wäre. Oder wenn die betreffende Schule einen hohen Anteil von Heranwachsenden mit muslimisch geprägtem Hintergrund hätte.

Unterstellen Sie denen ein noch aggressiveres Verhältnis zu Homosexuellen?

Unter den Jugendlichen, die ich meine, ist das Thema noch negativer besetzt – in migrantischen Kreisen ist die antischwule Mentalität oft auch an Gewaltbereitschaft gekoppelt.

Welche Schlüsse ziehen Sie für Ihre Arbeit aus der Studie?

Dass wir erstens dringend eine groß angelegte Studie zum Thema brauchen. So verdienstvoll diese Arbeit ist, sie reicht nicht aus. Und zweitens, dass an den Schulen viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden muss – überhaupt über jede Sexualität, die von der Norm abweicht –, nicht nur im Biounterricht.

Wo sonst?

In Deutsch, Politik oder Geschichte. Fände Aufklärung nur zwischen Themen wie Bienen und Bestäubung statt, wäre Homosexualität wieder nur ein Sonderfall, der nur Peinlichkeiten provozieren kann. Aber Homosexuelles zum allgemeinen Gegenstand zu machen wäre wichtig.

Und die Lehrer?

Ein Trauerspiel. Sie müssten geschult werden – ein unsicherer Pädagoge verdirbt gleich die ganze Idee: dass an Homosexualität nichts Beschämendes ist.

INTERVIEW: JAN FEDDERSEN